„Auch Trauer darf sein“
Neue Selbsthilfegruppe für Eltern von Kindern mit Behinderung

Angebot soll auch praktische Hilfe ermöglichen

05.06.2023 | Stand 14.09.2023, 23:45 Uhr

Sich austauschen, reden, voneinander lernen: Was Gründerin Christine Behr (rechts) und Betroffene Kerstin Auktor hier tun, soll auch Motto der neuen Selbsthilfegruppe für Eltern von Kindern mit Behinderung werden. Foto: Brenner

Pfaffenhofen – Als Kerstin Auktor ihr viertes Kind nach der Geburt im Arm hielt, trafen sie ihre Gefühle völlig unvorbereitet: „Ich konnte das zunächst gar nicht verarbeiten.“ Auktor, die zufällig einige Monate zuvor eine Reportage über das Down-Syndrom gesehen hatte, erkannte sofort die typischen Merkmale im Gesicht ihrer Tochter. Sie fühlte in diesem Moment vieles auf einmal: Die Liebe zu ihrem Neugeborenen, Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht so ist, wie sie denkt. Und Trauer über den Verlust des Kindes, das sie sich während der Schwangerschaft vorgestellt hatte.

Gerade Letzteres erfüllt viele Eltern von behinderten Kindern mit Scham, weiß Christine Behr. Die Hettenshausenerin hat viele Jahre als Gruppenleiterin in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in München gearbeitet und besuchte betroffene Familien zu Hause. Besonders am Anfang sei es für Eltern schwer, mit der neuen Situation umzugehen, denn: „Keiner geht davon aus, dass das eigene Kind eine Behinderung hat.“

Wichtig sei, sich die eigenen Gefühle zu erlauben. „Auch Trauer darf sein“, sagt Behr. Jeder gehe einen unterschiedlichen Weg bis zur Akzeptanz. „Mein Mann zum Beispiel war anfangs wie vor den Kopf gestoßen“, sagt Auktor. „Er dachte bereits an ihre Zukunft, machte sich Sorgen, ob sie je selbstständig wird leben können.“

Um Eltern in solchen Situationen zu helfen, gründete Behr eine Selbsthilfegruppe für Eltern von Kindern mit einer Behinderung (siehe Kasten). „Hier können Betroffene ihre Erfahrungen austauschen“, sagt sie. „Das Thema muss endlich raus aus dem Tabubereich.“

Denn obwohl sich viel getan habe und die Gesellschaft heutzutage toleranter geworden sei: Behr hat bei ihrer Arbeit immer wieder verzweifelte Eltern kennengelernt, die wegen der Behinderung des Kindes regelrecht verstoßen wurden. „Da werden junge Mütter von ihren Freunden und Verwandten vollkommen alleine gelassen.“ Manchmal spielten kulturelle Hintergründe eine Rolle, aber nicht immer.

Auch in solchen Situationen soll die neue Gruppe Halt geben – und schnelle, praktische Hilfe, beispielsweise wenn es um Anträge bei den Pflegekassen geht. „Ich will ein Netzwerk von Leuten schaffen, die sich auskennen“, sagt Behr.

Auktor und ihr Mann kennen sich inzwischen sehr gut mit dem Down-Syndrom aus. Ihre Tochter Anna (Name von der Redaktion geändert) ist heute fünf Jahre alt. Viele Dinge sind genau wie bei ihren älteren Geschwistern: „Sie braucht Liebe und Nähe und ist einfach ein Teil der Familie“, sagt Auktor.

Manches ist aber auch anders. So lernt Anna Worte und Sätze langsamer als Gleichaltrige, weshalb sie erstmal noch nicht eingeschult wird. „Manchmal verstehen wir auch nicht, was sie meint.“ Dann kommuniziert die Mutter mit Gebärden, Gestik oder Bildern mit ihrer Tochter.

Auktor hat durch das Leben mit Anna gelernt, die Dinge gelassener zu nehmen. „Man akzeptiert, dass alles langsamer geht, die Prioritäten ändern sich.“ Und, weil man Anna die Trisomie-Merkmale ansieht, habe das Umfeld überhaupt keine Erwartungen. „Ich werde nie gefragt, ob sie schon dies oder jenes kann.“ Anna darf in ihrem Tempo lernen, ohne Druck. „Wir sind einfach dankbar für jeden Schritt, den sie macht.“

Infos rund um die Selbsthilfegruppe



Wie geht es anderen Eltern damit? Wo bekomme ich finanzielle oder praktische Hilfe? Diese Fragen sollen unter anderem Thema bei den Treffen der neuen Selbsthilfegruppe für Eltern von Kindern mit einer Behinderung sein. Einen Träger gibt es nicht, Christine Behr hat die Gruppe privat gegründet.

Jeder, der ein Kind oder einen Partner mit Behinderung hat, darf kommen, und zwar ohne örtliche Beschränkung. Beim ersten Treffen spricht Kerstin Auktor über ihre Erfahrungen und beantwortet Fragen. Zu diesem Treffen dürfen auch unbeteiligte Menschen kommen, die das Thema einfach interessiert, so Behr.

Treffpunkt ist am Mittwoch, 14. Juni, ab 9.30 Uhr im evangelischen Gemeindezentrum in der Joseph-Maria-Lutz-Straße 1 in Pfaffenhofen. Der Unkostenbeitrag beträgt acht Euro pro Person.

PK

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