Pfaffenhofen
Herausforderung Demenz: Sich freuen über das, was noch geht

Angehörige berichten über ihren Alltag bei der Pflege von Erkrankten

19.01.2023 | Stand 17.09.2023, 5:12 Uhr

Oft beginnt Demenz mit zunehmender Vergesslichkeit. Welche Erfahrungen sie mit der fortschreitenden Krankheit gemacht haben, berichten Angehörige. Foto: Wiedl/dpa

Von Maggie Zurek

Pfaffenhofen – Die Alzheimer Gesellschaft im Landkreis Pfaffenhofen feiert heuer ihr zehnjähriges Bestehen (PK berichtete). Wie wichtig die vielfältige Unterstützung durch den Verein ist, davon berichten aus diesem Anlass pflegende Angehörige.

Ein Rentner, der gerne anonym bleiben möchte, um sich und seine erkrankte Ehefrau vor einer Bloßstellung zu schützen, betont: „Ich finde es ungeheuer wichtig, dass die Existenz der Alzheimer Gesellschaft noch besser bekannt gemacht wird.“ Seine Erfahrungen will er gerne teilen, „um Hemmungen bei Betroffenen abzubauen“. Denn es zeige sich, dass viele Menschen „sich nicht trauen, um Hilfe zu bitten oder nicht wissen, wo sie überhaupt Unterstützung finden könnten“. Dabei seien Hintergrundinformationen zur Krankheit selber, zum Umgang mit Erkrankten, aber auch rund um finanzielle und gesetzliche Fragen „sehr wichtig für das Zusammenleben mit einem dementen Menschen“. Daher sein Appell: „Habt den Mut, euch beraten zu lassen, schämt euch nicht.“

Sich einlassen auf die Welt des Kranken

Seine Frau erhielt vor vier Jahren die Diagnose Demenz, die ihre Vorboten allerdings schon lange davor in einer anfangs belächelten „Schusseligkeit“ im Alltag geschickt hatte. Dass sie inzwischen in ihrem Ehemann immer seltener den Partner, sondern öfter den Bruder oder Vater sieht und auch sonst im Alltag die Orientierung verliert, damit hat der Ruheständler dank der von der Alzheimer Gesellschaft angebotenen Angehörigen-Schulung nach Prof. Dr. Engel („EduKation demenz“) umgehen gelernt. Die Maxime laute: „Nicht widersprechen, sondern sich einlassen auf die Welt der Kranken, um sie nicht noch mehr zu verwirren.“ Auch der Gesprächskreis für Betroffene baue ihn immer wieder auf und das monatliche „Café Vergissmeinnicht“, zu dem er seine Frau mitnimmt, sei mit seinem abwechslungsreichen Programm jeweils ein Lichtblick. „Jaa“ beteuert diese mit einem warmen Lächeln und ergänzt: „Ich sing doch so gerne.“ Von den alten Volksliedern kann sie noch alle Strophen. „Das Musikgedächtnis geht erst ganz zum Schluss verloren“ – auch das hat ihr Mann bei der Schulung gelernt. Früher sei er manchmal „aus dem Weinen gar nicht mehr rausgekommen“, aber nicht zuletzt der Austausch mit anderen Betroffenen habe ihn gelehrt, „nicht zu viel zu grübeln über Dinge, die ich nicht ändern kann und mich stattdessen zu freuen über das, was noch geht“, so ihr Ehemann.

Eine Aufgabe, die Pflegenden keine Atempause gönnt

Eine Seniorin aus dem mittleren Landkreis beschreibt ihrerseits die Demenz als Krankheit, „die ganze Familien zerstören kann“. Dass sie als pflegende Angehörige an der Verantwortung nicht zerbrochen ist, „das verdanke ich der Alzheimer Gesellschaft“, sagt sie. Über ein Jahrzehnt lang hat sie ihre Schwiegermutter betreut – neben Haushalt und der eigenen Großfamilie. Wie sehr diese Aufgabe, die ihr „keine Atempause“ vergönnte, sie an den Rand ihrer psychischen Belastbarkeit gebracht hat, „das haben selbst enge Verwandte nicht nachvollziehen können“. Denn Alzheimer sei quasi wie ein „Wackelkontakt im Kopf“, sagt sie. Sie kennt nur zu gut das Phänomen, wenn sich der Erkrankte, sobald Besuch oder der Medizinische Dienst der Krankenkasse für eine Pflegeeinstufung vorbeischauen, kurzzeitig in Höchstform präsentiert. „Das ist doch alles nicht so schlimm“, musste sich die Mittsechzigerin daher oft von Menschen anhören, die von der bleiernen Antriebslosigkeit und den schleichenden Wesensveränderungen ebenso wenig mitbekamen wie von der später ausgeprägten Weglauftendenz, der Schlaflosigkeit und des Realitätsverlusts, der zur Gefahr für die Kranke und ihr Umfeld auswuchs. Zur „wahren Zerreißprobe“ für die Familie wurden die von der verwirrten Patientin erhobene Vorwürfe, man vernachlässige und bestehle sie.

Im Jahr 2012, zu einer Zeit, als das Thema „Demenz“ noch nicht so präsent in der Gesellschaft gewesen ist, seien die Angebote der Alzheimer Gesellschaft gewissermaßen ihre Rettung gewesen. Der Rat, sich selbst ab und zu eine Verschnaufpause zu gönnen und die Angebote der Tages- oder Kurzzeitpflege in Anspruch zu nehmen, halfen ihr letztlich „durchzuhalten“.

Der Anfang von einem ganz neuen Leben

Im Vorstand der Alzheimer Gesellschaft engagieren sich viele Menschen, die jahrelang zuhause einen an Demenz Erkrankten gepflegt haben oder noch pflegen. Gründungsmitglied Martina Bürkner kennt die Nöte der Angehörigen aus eigenem Erleben nur allzu gut.

Ihr Mann wurde 2001 an einem Aneurysma im Gehirn operiert – „und das war der Anfang von einem ganz neuen Leben“. Erst schien alles gut, doch dann zeigten sich erste Auffälligkeiten. Der Ex-Soldat wurde immer pedantischer, ein schier unstillbarer Bewegungsdrang trieb ihn um und er verlor seine Empathie für andere. „Er war ein Hüne, der sich von nichts und niemand stoppen ließ, schon gar nicht von mir“, erinnert sich die zierliche Seniorin an die Folgen: Konflikte mit Nachbarn – etwa weil ihr Mann auf seinen täglichen Touren sogar Weidezäune niedertrampelte und das Vieh dann davonstob. Die schockierende Diagnose „Frontotemporale Demenz“ läutete eine Abwärtsspirale ein, die irgendwann eine Pflege zuhause unmöglich machte. Sie sei dankbar, dass sie ein gutes Heim, verständige Ärzte und sogar einen Richter gefunden habe, der sich zum Beispiel gegen eine Magensonde und für die intravenöse Nahrungsgabe eingesetzt habe, um ihrem Mann so lange wie möglich „ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen,“ so die ehemalige Lehrerin. „Um ein wenig von all dem Guten zurückzugeben“, hat sich die langjährige Vize-Vorsitzende der Gesellschaft nach dem Tod ihres Mannes verstärkt für andere Betroffene eingesetzt, diverse Kurse und Schulungen geleitet und das Café Vergissmeinnicht mit betreut. Zuletzt sprang sie als Vorsitzende ein, weil Anna Maria Birkner nach nur drei Monaten krankheitsbedingt aufgab. 2022 trat Bürkner nicht mehr an, weil sie ihren Ruhestand „noch ein bisserl genießen möchte.“ Bei ihrer Nachfolgerin Barbara Bardong wisse sie den Verein in guten Händen, sagt sie.

PK