Pfaffenhofen
Eine aufregende WM

Vor 30 Jahren kämpfen 16 Fahrer beim MSC um den U 21-Weltmeistertitel im Speedway

23.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:33 Uhr
Erhard Wallenäffer

Harter Kampf um die Platzierungen: Tomasz Gollob (Polen) und Kim Brandt (Dänemark, rechts). Fotos: MSC Pfaffenhofen

Von Erhard Wallenäffer

Pfaffenhofen – „Während die meisten Sportvereine in den Sommerwochen eine Pause einlegen, ist beim Motorsportclub Pfaffenhofen der endgültige Countdown angezählt – die Vorbereitungen für das Speedway-Junioren-Weltfinale am 23. August laufen auf Hochtouren.“ Wer recherchiert, findet diesen Satz in einer Ausgabe des Magazins Bahnsport Aktuell aus dem Sommer 1992. Und in der Tat fieberten exakt vor dreißig Jahren die Speedway-Fans auf jenen Sonntagnachmittag hin, denn es war ja nicht alltäglich, dass in Pfaffenhofen eine WM-Trophäe überreicht wurde – wohl bis heute: Ein einmaliges Ereignis – einzig im Trabrennsport fanden schon WM-Wertungsläufe statt.

Weltklasse-Drifter waren von weit angereist, um den Weltmeister der unter 21-Jährigen zu ermitteln. Allerdings war die Bezeichnung „Junioren“ nicht treffend, denn es waren fast nur Profis, die ihre Maschinen um das 400-Meter-Oval peitschten. Ein Speedway-U21-WM-Titel war nämlich schon damals mehr wert als in vielen anderen Sportarten. Nun – die Verantwortlichen des ausrichtenden MSC Pfaffenhofen hätten sich garantiert einen entspannten Renntag gewünscht, immerhin wurde alles penibel vorbereitet, aber: Ein heftiges Unwetter löste die ultimative Nervenprobe aus. Und so mancher Teilnehmer wurde Jahre später arg vom Schicksal getroffen.

Der Wolkenbruch

Eigentlicher Schirmherr der Veranstaltung war der Bayerische Ministerpräsident Max Streibl, und das war auch das Motto vor dem Rennen: Denn jeder Fan war irgendwie „Schirmherr“ oder „Schirmdame“. Weshalb? Weil man das, was sich während der Fahrer-Präsentation abspielte, wohl nur mit einem bayerischen Spruch beschreiben kann: „Geschliffene Hackeln hat es geregnet!“ Gerade noch marschierte die Stadtkapelle bei herrlichstem Sonnenschein über die Bahn und schlagartig, als nur eine Handvoll Fahrer begrüßt waren, öffnete der Himmel seine Schleusen. Vierzig Minuten lang dauerte der Wolkenbruch – wie gut, dass der helle Pfaffenhofener Belag die Wassermassen besser aufnehmen konnte als geahnt.

Der MSC-Vorstand

„Am Boden zerstört“ oder: „Nervlich am Abgrund“? Wie sich Lorenz Lang während der vierzig Minuten „Weltuntergang“ gefühlt hat, mag man sich gar nicht vorstellen. Der MSC-Vorsitzende hatte mit seinem Organisationsteam ein ganzes Jahr lang auf diese Stunde hingearbeitet und nun drohte die mühsam präparierte Bahn regelrecht abzusaufen. Ein Horrorszenario schien nicht mehr abwegig: 24 Stunden später, am Montagnachmittag, wäre der vorgeschriebene Ersatztermin gewesen und dann natürlich in einem nahezu leeren Stadion. Versteht sich, dass dies der Ruin für Langs Motorsportclub gewesen wäre.

Die Fahrer

Sie kamen auch aus Großbritannien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Polen, Australien und der ehemaligen Sowjetunion – die 16 Fahrer im Hauptfeld. Viktor Gaydim beispielshalber reiste mit seinem verwahrlosten Transporter sage und schreibe 2212 Kilometer weit aus Moskau an. Um aber überhaupt in Pfaffenhofen starten zu dürfen, mussten sich die Piloten bei verschiedenen Rennen qualifizieren.

Der neue Weltmeister

„Leigh Adams siegte nach einer wilden Jagd im Entscheidungslauf gegen den Engländer Mark Loram“, so stand es am nächsten Tag in unserer Zeitung, und weiter hieß es: „Beide Fahrer drückten die Vorderräder ihrer Maschinen zu Boden und erwarteten aufgeregt das Startsignal – die Motoren heulten auf und ab ging es. Nach zweimaligem Führungswechsel ließ sich Adams den WM-Titel nicht mehr nehmen.“ Unbedingt wollte er in Pfaffenhofen gewinnen, stellte der Australier im letzten Jahr klar, als die heutige Führung des MSC Pfaffenhofen mit ihm Kontakt aufnahm. Adams feierte da seinen 50. Geburtstag und wurde aus diesem Anlass zum MSC-Ehrenmitglied ernannt. Bald nach dem Karriereende erfuhr sein Leben eine schicksalshafte Wende, als er mit einem Enduro-Bike im australischen Outback stürzte. Seither ist er querschnittsgelähmt, wobei Adams nicht der einzige Teilnehmer des WM-Endlaufs von 1992 ist, der nicht mehr laufen kann: Auch Tomasz Gollob, späterer Weltmeister und in Polen ein Nationalheld, ist nach einem Unfall im Jahr 2017 auf den Rollstuhl angewiesen.

Der Motor aus Bayern

In Adams’ Sieger-Rennmaschine werkelte ein Hallertauer Triebwerk. Otto Weiß aus Berg hatte nämlich noch einige Zusatz-PS aus dem italienischen Aggregat gekitzelt. Zugeschaut hat der „Hopfa-Stier“ aber nicht. „Hopfa-Stier“ deshalb, weil der Motoren-Spezialist diesen Namen zwanzig Jahre zuvor verpasst bekommen hatte, als er noch als Bundesliga-Fahrer für den MSC Pfaffenhofen um Punkte kämpfte. Weiß verbrachte seinen Urlaub gerade auf Sizilien – weil: „Alles ist bestens vorbereitet und beim Fahren kann ich ja eh nicht helfen“, so sein Kommentar gegenüber einer Motorsport-Zeitschrift.

Der deutsche Teilnehmer

„Alles ist so teuer!“ Genervt klagte Matthias Koch beim Interview mit dem Stadionsprecher darüber, dass das Rennfahren viel Geld kostet. Und der einzige deutsche Teilnehmer konnte keinen einzigen Punkt ergattern. Dabei hatte der Jungspund aus Mecklenburg so tapfer gekämpft, aber er passte halt gar nicht zu seinen Gegnern, die fast alle Profis waren. Schon sein abgewetzter hellblauer Lederanzug, wohl aus DDR-Zeiten, ließ vermuten: Der ist wohl chancenlos! Koch verlor wenige Jahre später, bei einem Bundeswehr-Einsatz in Ex-Jugoslawien, sein Leben.

PK