Pfaffenhofen
Auf der Suche nach dem Flow

<DK-XY_trifft>KULTUR-MACHER:</DK-XY_trifft> Saxophonist Christoph Hörmann lebt für die Musik und den perfekten Sound

08.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:28 Uhr
Timo Schoch

Christoph Hörmann vor der ehemaligen Spielstätte der Künstlerwerkstatt: Der Verein ist aktuell obdachlos. Foto: Johannes Hauser

Von Timo Schoch

Pfaffenhofen – Christoph Hörmann ist ein renommierter Jazz-Saxophonist. Einer, der die Musik liebt und lebt. Über viele Jahre hielt er die Pfaffenhofener Jazz-Szene, vorrangig natürlich mit Bernhard „Wacky“ Singer, am Leben. Die Künstlerwerktstatt erhielt dadurch ihren Ruf als heimliche Jazz-Hochburg Bayerns. Seit zwei Jahren ist der Verein nun quasi obdachlos. Und Hörmann als neu gewählter Vorstand sucht nach einem neuen Veranstaltungsraum.

Sie sieht aus wie eine Telefonzelle. Wenn Christoph Hörmann darin steht, klingt kaum noch ein Laut von außen hinein. Er ist dann in seiner Welt. Und in der schalldichten Box steht Hörmann täglich. Der Saxophonist ist dann auf der Suche nach dem Flow. Diesen besonderen Zustand, der eine Mischung aus Trance und Meditation ist. Dieser glücklich machende Moment, wenn er nur völlig alleine ist, mit sich, dem Saxophon und seinen Tönen.

An der kahlen Wand innerhalb der schalldichten Kabine hängt ein Flamingo. Eine Zeichnung von Picasso. Mit einem Strich kreierte der Künstler Tiere. „Darum geht es“, sagt Hörmann und zeigt auf das Bild. „Das ist mein Leben.“ Picasso schaffte es mit unglaublicher Akribie und Übung einen simplen Strich so unglaublich einfach aussehen zu lassen. Genau das will auch Hörmann. Saxophon spielen für den Flow, die Kunst, den Moment. Schweres soll spielerisch herüberkommen.

Diesen Zustand, dieses Ziel verfolgt der 57-Jährige bereits seit Jahrzehnten. Mit neun Jahren hat er erstmals eine Klarinette in der Hand. Doch diese legt er schnell wieder zur Seite. „Ich war ein fauler Klarinettenschüler“, erzählt er und lacht. Auch das Saxophon erweckt anfangs wenig Interesse. Das ändert sich mit der ersten Schülerband. „Ich spielte zu der Zeit Gitarre. Doch es gab in der Band bereits zwei Gitarristen“, erinnert sich der gebürtige Pfaffenhofener. Also griff er wieder zum Saxophon. Und erlebte erstmalig den Flow an diesem Instrument.

Fortan war sein Weg klar: Nach dem Abitur absolvierte er ein Studium zum Diplom-Musiklehrer mit Hauptfach Jazz-Saxophon in Würzburg. Jazzmusik mag zwar glücklich machen, allerdings nicht reich. Deshalb unterrichtet Hörmann noch an der städtischen Musikschule in Pfaffenhofen. „Im Grunde habe ich drei Standbeine“, sagt Hörmann. „Musikunterricht, Theater und Musical sowie Jazz.“ Zwei Säulen brachen durch die Coronakrise weg. Dafür konnte er sein Engagement als Musiklehrer glücklicherweise ausbauen. „Auch das ist oft sehr befriedigend“, sagt Hörmann. Doch bald steht Hörmann wieder auf der Bühne. Aktuell probt er für das Musical „Chicago“ am Theater in Regensburg. Mitte Mai soll der erste Auftritt erfolgen.

Nebenbei hat Hörmann den Vorsitz der Pfaffenhofener Künstlerwerkstatt übernommen – zum zweiten Mal. Die Künstlerwerkstatt will Jazz und Bildende Künste fördern. Doch nicht nur die Coronakrise hat die Konzertreihe zum Erliegen gebracht. Aktuell fehlt es auch an einem Veranstaltungsraum. „Wir sind gerade obdachlos“, sagt Hörmann. Bernhard „Wacky“ Singer, der Betreiber der Schreiner-Werkstatt und damit dem bisherigen Veranstaltungsort, gab den Betrieb aus persönlichen Gründen auf. Der ungewöhnlichste Jazzclub Bayerns war damit Geschichte.

Inmitten von Sägen, Schraubstöcken und Hobelbänken veranstalteten befreundete Jazzmusiker erstmals im Jahr 1994 eine Jam Session. Im Dezember 1996 wurde mit der ersten Christmas-Jazz-Reihe und drei Konzerten der Weg bereitet für den Aufstieg zur heimlichen Jazzhochburg: Das Quartett um Christoph Hörmann am Tenorsaxofon und Sebastian Nay am Schlagzeug wurde dabei verstärkt von den Jazzgrößen Frank Möbus, Helmut Kagerer und Peter O’Mara. Die immer häufigeren Konzerte – bis zu 25 im Jahr – fanden bei stets freiem Eintritt ein begeistertes Publikum. 2001 gründete sich ein gemeinnütziger Förderverein, um das Konzertprogramm überhaupt noch stemmen zu können.

Goldene Jahre erlebte die Künstlerwerkstatt in der ersten Dekade der 2000er mit regelmäßigen Konzerten des Werkstatt-Jazzorchesters (WJO) – anfangs Big Band, später Oktett – samt namhaften Gastmusikern wie Bobby Shew, Johannes Faber oder Dusko Goykovich sowie Gastspielen von Stars der internationalen Jazzszene wie Joe Fonda. Das Programm und die Macher wurden von Preisen überhäuft, seien es Lokale, wie der Kulturförderpreis der Stadt Pfaffenhofen oder dem Spielstätten-Programmpreis des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Im Jahr 2019 verlor die Künstlerwerkstatt und damit der Verein schließlich sein Zuhause. Das Ziel der Künstlerwerkstatt bleibt allerdings gleich: Musik und Kunst außerhalb des Kommerzes zu fördern. Dann kam Corona und nun ruht vorerst nahezu die gesamte Veranstaltungsreihe.

Und Hörmann selbst fand sich deshalb häufiger in seiner schalldichten Box seiner Wohnung wider. Jeweils rund 30 Minuten pro Tag spielt er Flöte und Klarinette, eine Stunde Saxophon. Den Flow kann er dort drinnen leichter spüren, wie auf der Bühne, wo alles zeitlich sehr durchgetaktet und stressig ist. Denn für den Flow ist es am besten, alleine zu spielen. Die Töne und den Sound kann er da besser spüren. Und natürlich den Flamingo anschauen. Dieser zeigt Hörmann jedes Mal aufs Neue, wie man aus viel Übung, Akribie und Motivation etwas Schwieriges ganz leicht und einfach aussehen lassen kann.

PK