Der schwierige Weg zur Toleranz
Podiumsdiskussion zu Religionen, Fanatismus und Toleranz mit Autor Feridan Zaimoglu an der KU

03.07.2023 | Stand 14.09.2023, 22:05 Uhr

Über Religion und die Welt diskutierten Martin Kirschner vom Lehrstuhl Theologie in Transformation (von links), Karin Scherschel vom Lehrstuhl Flucht und Migration, der Schriftsteller Feridan Zaimoglu und Isabelle Stauffer, Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Foto: Luff

„Nathan reloaded?“ lautet der Titel einer Diskussionsrunde an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die nach der Lesung des deutsch-türkischen Autors Feridan Zaimoglu die heikle Frage diskutierte, auf welchem Stand sich Toleranz in Deutschland tatsächlich befindet.

Neben dem Schriftsteller, der sich als weltoffener deutscher Muslim sieht, fanden sich der Theologe Martin Kirschner, die Leiterin des Zentrums für Flucht und Migration Karin Scherschel und die Literaturwissenschaftlerin Isabelle Stauffer, allesamt Professoren der KU, auf dem Podium ein und boten eine höchst interessante Diskussion um ein hochaktuelles Konfliktfeld unserer Gesellschaft.

Zunächst wurden die Teilnehmer mit der Frage konfrontiert, welchen Stellenwert Religionen in unserer säkularisierten Welt noch einnehmen würden und wie Kunst dazu beitragen kann, dass ein friedliches Zusammenleben gelingt. Zaimoglu sah hier die Intellektuellen und Künstler nicht mehr als elitäre Erzieher der Gesellschaft. Vielmehr seien Glaube und Frömmigkeit, weniger die Religionen, wichtig für gegenseitiges Verständnis. Dazu trage auch eine wahrhafte, vorzeitige Sprache bei, die die oberflächlichen, narzisstischen Worte smarter Menschen der Gegenwart ersetze.

Religion birgt immer auch Gefahren



Martin Kirschner fragte Zaimoglu nach der gefährlichen Faszination, welche dadurch erzeugt werden kann, dass man sich als Autor intensiv mit einem religiösen Stoff beschäftige, der extreme Positionen entfaltet. Hier bekannte der Schriftsteller, dass er sich, wenn er schreibe, tatsächlich bedingungslos auf diesen Stoff einlasse und radikal mit der eigenen Identität breche, bis hin zur fiktiven Annahme des anderen Geschlechts. Diese „Anverwandlung“ sei aber notwendig, auch wenn manchmal damit eine Art Vergiftung verbunden sei: „Ich halte keinen Abstand zu gefährlicher Religion. Glaube ist unsauber, Glaube bedeutet Blut“, meinte Zaimoglu und wies auf die grausamen Menschenopfer hin, die bereits das Alte Testament bietet.

Beim Verfassen seines Romans „Evangelio“ habe er mit Luther gefastet und nächtliche Ängste in einer einsamen Burganlage ertragen, sich kasteit und gebetet. Er bleibe aber trotzdem Humanist. Zur Dimension von religiösem Fanatismus betonte Karin Scherschel, dass eines ihrer Forschungsprojekte die medial inszenierte Überrepräsentierung eines als bedrohlich eingestuften Islam gezeigt habe, während über rechtsextreme Gewalt deutlich weniger berichtet werde. Feridan Zaimoglu forderte hier einen differenzierten Blick: Zwar gebe es vereinzelt auch gefährliche Moslems, die in einem Regionalzug Messerattacken durchführen, doch die Mehrheit betrachte sich als friedliche deutsche Muslime, die es verdient hätten, in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen zu werden.

Isabelle Stauffer fragte Zaimoglu nach seiner Skepsis gegenüber dem aktuellen Regietheater und dessen Realismus. Hier bekräftigte der Autor seine Position, dass Theater weh tun und neue Räume jenseits der Wirklichkeit schaffen müsse. Auf der Bühne müssten Menschen aus Fleisch und Blut mit einer authentischen Sprache agieren, nicht langweilige Linksliberale, die nur „Teletubbie“-Deutsch sprechen. Wörtlich forderte er: „Ich will Rausch, Initiative, Hitze, Zwielicht, Schmutz und Dreck. Ich will Dunkelheit, das Faustische, das Zerrissene, eine Ausweitung der Kampfzone.“ Scherschels Einwand, wo denn bei dieser Ausrichtung das reflexive Element bleibe und für welches Publikum er Stücke wie „Die schwarzen Jungfrauen“ schreibe, konterte Zaimoglu mit der Feststellung der Kurzlebigkeit seiner Theaterstücke, denn Theater müsse sich immer wieder neuen gesellschaftlichen Fragestellungen zuwenden, dabei aber, wie bereits Shakespeare, auf eine unmittelbare, rauschhafte Sprache setzen.

Reise zu sich selbst ist nächstes Romanthema



Zaimoglu bestätigte und vertiefte Kirschners Einschätzung, nach der Religion nicht nur eine heilende Dimension aufweise, sondern oft auch mit Terror und Gewalt zu tun habe. Für ihn bedeutet Glaube stets Instabilität, die man aber aushalten müsse. Er verwies auf pathologische Denkmuster evangelikaler Kreise aus den USA, die es aber auch im Islam und im Judentum immer gegeben habe und noch gebe, wie die Grausamkeiten von islamistischen Bombenanschlägen und die Enthauptung von 21 koptischen Christen in Libyen zeigten. Am Ende fand Zaimoglu zur resignativen Feststellung: „Der Mensch ist das wahre Ungeziefer dieser Welt.“

Erfrischend offen stellte sich der Schriftsteller am Ende den Fragen des Publikums und bestätigte, dass es in seiner Literatur nicht nur Rausch und Ekstase gebe, sondern auch leisere Töne, vor allem in den Romanen. Schreiben betrachtet Zaimoglu als existenziellen Vorgang, bei dem er sich verausgabt und sogar Gewicht verliert. Glücklich sei er aber nach dem Abschluss eines Werkes nur eine halbe Stunde lang, danach müsse schon wieder etwas Neues her. Und auf die Frage nach seinem nächsten Projekt stellte er eine biographische Prosa mit dem Arbeitstitel „Vaterlos“ vor. Darin schildert er eine dreitägige Reise mit dem Wohnwagen in die Türkei, wo sein unlängst verstorbener Vater begraben liegt. Diese Reise sei auch eine Reise zu sich selbst.

EK