Anno dazumal
Märchenkönig und Leutnant Krach: Schützenscheiben als heimatgeschichtliche Zeugnisse

02.03.2024 | Stand 02.03.2024, 15:00 Uhr

Der Schützenmeister der Königlich privilegierten Feuerschützengesellschaft, Karl-Heinz Neumayer, mit der Schützenscheibe, die das Bild von Fritz Heinlein ziert. Fotos: Ettle

„Nichts widersteht auf Erden mir – Ich bin der beste Kanonier – Der Punkt auf der Scheiben – Das Hirscherl im Wald.“ Ein Vierzeiler aus einer großen Zahl von Sprüchen auf Schützenscheiben. Klingt da ein bisserl etwas vom fröhlichen Schützentreiben in Wald und Flur aus alten Zeiten an? Bei der Königlich privilegierten Feuerschützengesellschaft Eichstätt wurden in den 627 Jahren ihres Bestehens unzählige Scheiben „herausgeschossen“, die entweder dem stolzen Schützen das Wohnzimmer zieren oder im Vereinsheim Bewunderung finden.

Schützenmeister Karl-Heinz Neumayer und Ehrenschützenmeister Wolfgang Albrecht freuen sich darüber, dass das Schießen mit Luftgewehr, Kleinkalibergewehr und Pistolen, mit Schwarzpulver geladenen Waffen, ja sogar mit Pfeil und Bogen immer noch großen Anklang findet. Sie lassen keinen Zweifel daran: Das Sportschießen ist tatsächlich echte Körperertüchtigung. Obendrein schärft es das Auge, führt zu einer ruhigen Hand und macht dem treffsicheren Schützen „unglaublich viel Spaß“.

Scheiben spiegeln Heimatgeschichte wider



„Wir haben momentan knapp 200 Mitglieder, von denen rund 70 Jugendliche, Frauen und Männer regelmäßig an die Stände gehen“, informiert Schützenmeister Neumayer. Im Schützenhaus, erbaut in den Jahren von 1958 bis 1965 am Auslauf des Tiefen Tals, kamen 21 Schießstände unter sowie ein Wirtshaussaal und notwendige Nebenräume. In der Stube ist auch ein Teil der von vielem Tabakrauch gebräunten Schützenscheiben angebracht, die vom Lehrer Otto Gerhard Ziegler bei Bedarf liebevoll restauriert werden. Bilder und Schriftzüge auf neue Scheiben malt Leni Remold. Die Motive der „Trophäen“ werden vom Schützenmeister ausgesucht. Von den Scheiben scheint auch immer viel von der heimischen Geschichte auf. Da ist zum Beispiel ein Stück aus dem Jahr 1922, das den legendären Schlossleutnant Lorenz Krach von der Willibaldsburg zeigt. Dank der wöchentlichen Freitagsglosse im EICHSTÄTTER KURIER ist der alte Haudegen heute noch bekannt in Stadt und Land. Und da hängt die Scheibe mit dem Konterfei von Prinzregent Luitpold von Bayern, der von 1886 bis 1912 regierte. Sie ist gestiftet worden im Jahr 1911 von Karl Schenkel und wurde gewonnen von Anton Schink. Auf dieses „begehrte Stück“ haben viele Schützen gefeuert; der Punkt mit dem aufgemalten „Zwölfer“ ist total zerschossen.

Dabei hat jeder, der mitmachen will, nur einen Schuss frei. So ist also viel Glück im Spiel und es ist nicht ausgemacht, dass die Routiniers gewinnen. Dazu erzählten die beiden Schützenmeister: Vor kurzem war ein Königsschießen, das Julia Klingler gewann, die gerade ein paar Monate an die Stände geht „und sich unbandig g‘freut hat“. Zwei der ältesten und historisch wertvollsten Scheiben stammen aus dem Jahr 1722. Stifter war Domherr Moritz Adolph Karl, Herzog von Sachsen-Zeitz, später Bischof von Königgrätz und Leitmeritz, wie dem Buch „Mit Schützengruß und Handschlag“ von Alois Wittig zu entnehmen ist. Eine Scheibe zeigt das Wappen des Domherrn, die andere einen Hirsch, der gerade an einem Jägerstand vorüberzieht. Auf einer anderen Scheibe ist das alte Eichstätter Wappen gemalt und dazu ein Wolf mit Krone, gestiftet von Domdekan von Westernach. Als Kunstmaler unterzeichnete Laurentius Murrmann.

Herzog von Leuchtenberg mit dem Stadtwappen



Für Erforscher der Heimatgeschichte sind die alten Schützenscheiben echte Fundgruben. So ist aus dem Jahr 1806, als Eichstätt gerade zum Königreich Bayern gekommen war, Malerkunst zu sehen, die einen Bauern am Tisch sitzend und einen Beamten mit Schiffhut zeigt. Mehrere Hochzeitsscheiben sind im Schützenhaus aufbewahrt und als Zeugnisse längst versunkener Zeiten interessant. Anlässlich des Geburtstags seiner Kaiserlichen Hoheit Nikolaus, Herzog von Leuchtenberg und Fürst von Eichstätt, ist aus dem Jahre 1843 eine Scheibe vorhanden, die das grün umkränzte Eichstätter Stadtwappen präsentiert. Wenn auch so manches „Gemälde“ der einfachen Bauernmalerei zuzuordnen ist, sind sie doch vom geschichtlichen Blickpunkt aus wertvoll.

Bürgermeister und Schützenkommissar Otto Betz übergab im Jahr 1930 interessante Scheiben an den Historischen Verein zur Aufbewahrung. Dabei war auch ein kostbares Dokument, nämlich die Schützenordnung aus dem Jahr 1711. An die fürchterlichen Notjahre der Inflation in den 1920er-Jahren erinnert die „Hungerscheibe“. Auf ihr sind die „astronomischen Preise“ für wichtige Lebensmittel und Getränke verewigt. Nur ein Beispiel: Im Oktober 1923 kostete ein Pfund Brot drei Milliarden Mark. Die Willibaldsburg von Osten aus gesehen ist auf einer Scheibe aus dem Jahr 1877 festgehalten, gestiftet anlässlich der Ernennung von Oberst Adalbert Höggenstaller zum Generalmajor in der Jägerkaserne. Festgehalten wurde dabei die lustige Geschichte um Schlossleutnant Krach und der erlistete ehrenvolle Abzug der invaliden Burgbesatzung durch das Spalier der französischen Soldaten.

Es sind viele hundert Anlässe, zu denen Scheiben gestiftet und herausgeschossen wurden. Um noch ein paar zu erwähnen: zu Ehren von Gauschützenmeister Fritz Heinlein, der 1961 gestorben ist, dann aus dem Jahr 1883 die auf einem Bierfass tanzende Schützenliesl Coletta, um den Herbergsvater der Schützen, Michael Staab, zu ehren. Und natürlich Scheiben für Kaiser Wilhelm sowie den Märchenkönig Ludwig II., der von 1864 bis 1886 Bayern regierte.

EK