Spannende Fragestunde
KU Eichstätt: Präsident Putins Ängste und Motive

Politikwissenschaftler und Historiker analysieren den Ukraine-Krieg

09.03.2022 | Stand 23.09.2023, 2:26 Uhr

Steht mit seiner Expertise über den Krieg in der Ukraine Rede und Antwort: Politikwissenschaftler Falk Ostermann. Foto: Screenshots Luff

Von Robert Luff

Eichstätt – Die Aufgabe einer Katholischen Universität besteht im aktuellen Ukraine-Krieg, der mitten im Herzen Europas tobt, nicht nur im Sammeln von Spenden, im Leisten von humanitärer Hilfe und in der Bekundung von Solidarität, obgleich das natürlich notwendige Akte der Humanität sind. Sie hat darüber hinaus aber auch den Auftrag, den Konflikt wissenschaftlich aufzuarbeiten, um ihn besser zu verstehen und so zu einer möglichen Lösung beizutragen. Dies stellte Vizepräsident und Politikwissenschaftler Klaus Stüwe in seiner Begrüßung zur Zoom-Veranstaltung fest, an der knapp 100 Interessierte teilnahmen.

Als Experten stellten dabei Falk Ostermann, Vertreter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der KU, der emeritierte Mittel- und Osteuropahistoriker Leonid Luks und der wissenschaftliche Mitarbeiter für Außen-, Sicherheits- und Europapolitik Andreas N. Ludwig ihr Wissen zunächst in drei Impulsbeiträgen zur Verfügung. Anschließend beantworteten sie über eine Stunde lang die Fragen der Teilnehmer.

Die Motive von Präsident Putin

Leonid Luks, der bis 2012 an der KU lehrte, eröffnete den Reigen mit einem Blick auf den unmittelbaren russisch-ukrainischen Kontext: Will man Putins Motive für diesen Angriff auf den „Bruderstaat“ verstehen, so muss man zur demokratischen Revolution und Auflösung der UdSSR 1991 zurückgehen. Vladimir Putin sah diesen Prozess stets als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts und versucht seit 2000, die alte Gestalt der UdSSR wieder herzustellen und gleichzeitig die russischen Bürger immer stärker zu entmündigen. Als weiteres Motiv deckte Luks Putins Angst vor einem Übergreifen der ukrainischen Demokratisierungswelle auf sein Land auf. Allerdings habe der russische Machthaber sowohl das Widerstandspotenzial der Ukraine als auch die Geschlossenheit der westlichen Bündnisse unterschätzt. Falk Ostermann, der die Idee zu dieser Veranstaltung hatte und die Fragerunde moderierte, nahm anschließend die globale Perspektive einschließlich der Nato in den Blick. Grundsätzlich stellte er klar, dass Putins Angriffskrieg den Status quo des Kalten Krieges wiederherstellen will, die Fundamente der europäischen Sicherheitspolitik untergräbt und gegen Völkerrecht verstößt. Dadurch hat er allerdings die Nato auf den Plan gerufen, die derzeit ihre Verteidigungspläne für Ost- und Südosteuropa aktiviert und gewillt ist, jeden Quadratmeter ihrer Bündnispartner zu verteidigen. Europa stehen daher instabile und unangenehme Jahre bevor oder, nach den Worten von Olaf Scholz, eine „Zeitenwende“.

Paradigmenwechsel in Deutschland

Andreas N. Ludwig hob aus europäischer Perspektive drei Aspekte des Ukraine-Kriegs hervor: Für Deutschland habe sich ein nie für möglich gehaltener Einschnitt in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ergeben, ein Paradigmenwechsel, der nicht nur Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine umfasst, sondern vor allem eine Neuausrichtung der Bundeswehr. Nachbarländer wie Österreich und die Schweiz wollen ihre Neutralität wehrhafter machen oder diskutieren sogar über einen Nato-Beitritt, wie Finnland und Schweden. Insgesamt zeigen sich EU und Nato in nie gekannter Einigkeit. Ludwig mahnte den Westen zur Mäßigung und zum Verzicht auf jede rhetorische Eskalation.

EK