Kinder sind begeistert
„Gruselige“ Lausbubengeschichten am Beilngrieser Arzberg

28.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:24 Uhr

Die Heimat durch ihre „Kinderaugen“ sehen: Dazu luden Wolfgang Brand und Josef Tomenendal die Mädchen und Buben der Nachwuchsgruppe im Bund Naturschutz ein. Der Weg führte auf den Arzberg. Fotos: Adam

Zu einer besonderen Tour war die Kindergruppe der Beilngrieser Naturschützer eingeladen. Wolfgang Brand und Josef Tomenendal nahmen die Mädchen und Buben mit auf den Arzberg – und mitten hinein in die Lausbubengeschichten ihrer Kindheit.

Schwer ist es nicht, sich die beiden vorzustellen: Wie sie wagemutig im Winter mit ihren Schlitten das schmale „Hölzl“ am Arzberg hinuntersausten, im Sommer neugierig Felsenkeller und Höhlen erkundeten, den ganzen Tag abenteuerlustig durchs Gelände krabbelten und erst dann wieder nach Hause gingen, wenn ein scharfer Pfiff ertönte: „Wenn die Mama vom Wolfi pfiff, dann sind wir schnell gerannt. Dann war das abendliche Gebetsläuten schon vorbei, das wir oft ignoriert haben, und es gab richtig Ärger, wenn wir dann nicht zackig heimkamen“, erzählt „Seppi“ mit breitem Grinsen.

Wolfi und Seppi – das sind die zwei jung gebliebenen „Lausbuben“ Wolfgang Brand und Josef Tomenendal, die sich mit den Kindern des Bund Naturschutz und der Leiterin der Gruppe, Caro Stadler, auf eine „gruselige Entdeckertour“ am Arzberg machen.

Von der 14-Nothelfer-Kapelle bis hinauf auf den Arzberg



Start ist an der 14-Nothelfer-Kapelle bei der evangelischen Kirche – wo ganz in der Nähe, der Beilngrieser Galgen stand. „Da wurden die Verbrecher aufgehängt, hier auf der Anhöhe, gleich direkt am Weg, denn die Leute sollten die Toten, die länger hängen gelassen wurden, baumeln sehen – auch als Abschreckung“, erzählt Wolfgang Brand. Den Brunnen dort, aus dem sich alle umliegenden Anwohner gern ihr Wasser holten, daran erinnert sich Tomenendal selbst noch gut, heißt Galgenbrunnen. „Das fließende Wasser daraus könnt ihr heute noch bedenkenlos trinken“, versichert Brand und natürlich muss jedes der 25 Kinder einen kleinen Schluck testen.

Nach der schaurigen Galgengeschichte geht es los, den Arzberg hinauf. An Weggabelungen müssen die voranstürmenden Kinder warten. Wo geht es weiter? Brand und Tomenendal kennen die Wege auch heute noch wie ihre Westentaschen. Und sie wissen, warum an vielen Gabelungen Kreuze stehen: „Als Schutz vor bösen Geistern, die die Leute, die sich hier entscheiden mussten, auf den falschen Weg schicken wollten.“

Gibt es noch immer Räuber im Wald?



Höhlen erforschen und Räuber sehen, das möchten vor allem die Buben zu gerne, aber Brand muss sie enttäuschen: „Vor einigen Jahren hat die Stadt viele Höhlen mit Beton ausgegossen, damit nichts passieren kann.“ Dafür kommt von Tomenendal wie aus der Pistole geschossen die Antwort: „Ja, selbstverständlich!“ auf die vorsichtige Frage eines Burschen: „Sind denn hier noch Räuber im Wald?“ Die Kinder hören das gern, auch wenn einige dann eng bei der Gruppe bleiben, während die anderen forsch versichern: „Dann finden und erschrecken wir die!“

Geschichten vom Nachtwurzer oder vom Höhlenfuchs, von Felsenspalten, aus denen man nie mehr rauskommt, wenn man sich hineinzwängt – das alles klingt nicht arg gruselig, wenn man am sonnigen Vormittag mit Freunden durch den Wald spaziert. Aber damals – alleine unterwegs, „da hatten wir schon ab und zu Respekt, weil die Fantasie die Geschichten ausschmückte“. Trotzdem war es eine wunderbare Kindheit, versichern Brand und Tomenendal. „Der Arzberg war unser Lebensraum, jeden Tag, in den Kindergarten sind wir ja nie gegangen.“

Wofür brauchte es früher eine Leichenfrau?



Am Steinbruch wird Brotzeit-Pause gemacht und der Blick über Beilngries bis hinüber zu Schloss Hirschberg bewundert. Dann geht es weiter zum Friedhof, wo es Erzählungen zu großen Familiengräbern gibt und Christa Weigl wartet: Sie lässt die Kinderschar in das Leichenhaus, dort, wo auch heute Gestorbene vor der Beerdigung aufgebahrt werden. In einem Nebenzimmer war früher der Schlafplatz der Leichenfrau, weiß Brand. „Sie musste ein Glöckchen bewachen, das mit den Zehen und Fingern des Toten durch eine Schnur verbunden war. Die Leute hatten große Angst, dass jemand scheintot begraben werden könnte, und so kontrollierte die Leichenfrau, ob der vermeintlich Tote sich vielleicht doch noch bewegt.“

Als früher in Beilngries praktizierender Arzt kann Brand auch das zweite Nebenzimmer erklären: „Das war das Sezierkammerl, in dem ein Arzt feststellen musste, ob ein Toter vielleicht vergiftet wurde oder eines anderen unnatürlichen Todes gestorben ist.“ Fast sind die Kinder froh, als es wieder hinaus in die helle Sonne geht.

Letzte Station des spannenden Rundgangs ist dann die Johanniskapelle, deren Entstehungsgeschichte von dem stolpernden Geistlichen, der zur Sühne die Kapelle errichten lässt, Brand noch lebhaft ausgeschmückt erzählt.

DK