Beilngries
Beilngries: Miteinander spielen – miteinander leben

Gelungener Beitrag aus Beilngries zur Interkulturellen Woche im Landkreis

28.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:11 Uhr

Vom Läufer bis zur Königin: In Beilngries hat am Dienstagnachmittag ein lebendiges Schachspiel der Kulturen stattgefunden. Fotos: F. Rieger

Von Fabian Rieger

Beilngries – König Helmut lässt sich bereitwillig auf dem Schachbrett verschieben. Er wird per Rochade in eine besonders sichere Position gebracht – ohne selbst nachvollziehen zu können, wie dieser Schachzug eigentlich gerade funktioniert, das räumt er unumwunden ein. „Mir geht es jetzt ein Stück weit so, wie es euch gegangen ist, als ihr hier angekommen seid“, sagt Bürgermeister Helmut Schloderer (BL/FW) zu den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Unterwegs auf einem fremden Terrain und angewiesen auf Unterstützung.

Zwillinge aus der Ukraine sind hervorragende Schachspieler

Die Parallelen zwischen Spiel und Realität – sie werden mehr als einmal deutlich an diesem Dienstagnachmittag. Mit einem interaktiven Begegnungstag, bei dem das Schachspiel im Mittelpunkt steht, beteiligt sich Beilngries an der Interkulturellen Woche des Landkreises. Warum eigentlich Schach? Das ist Wladislaw und Stanislaw zu verdanken. Die 17-jährigen Zwillinge aus der Ukraine haben in unserer Region Zuflucht und beim Beilngrieser Schachclub Anschluss gefunden. Wobei letztere Formulierung eigentlich die Untertreibung des Jahrhunderts darstellt. Passender wäre: Sie glänzen am Schachbrett und sind echte Spitzenspieler beim örtlichen Schachclub.

Das atmet genau die Überzeugung, mit der die Beilngrieser Ukraine-Helfer im Frühjahr angetreten sind. Die Geflüchteten nicht als Opfer oder Bittsteller sehen, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnen. Unterstützung leisten, aber darüber hinaus den Menschen mit all seinen Eigenschaften und Stärken sehen – und davon das eigene Leben bereichern lassen. „Füreinander – miteinander“, in diese treffenden Worte hat Ingrid Dütsch die Herangehensweise gekleidet. Sie und Kirstin Probst als die beiden Beilngrieser Integrationsbeauftragten bilden gemeinsam mit der Nachbarschaftshilfe um deren Vorsitzenden Rolf Drießen und mit Elfriede Bruckschlögl als Tafel-Chefin den Kern der Unterstützergruppe, in die sich darüber hinaus noch weitere Akteure einbringen. Wichtiger Bestandteil des Engagements ist das Treffen zum ungezwungenen Beisammensein, für das der Bürgertreff im Alten Feuerwehrhaus jeden Dienstagnachmittag offen steht.

Aus dieser Gemeinschaft heraus entwickelte sich dann die Idee, nach dem erfolgreichen Foto-Ausstellungsprojekt im Vorjahr heuer eine Schach-Aktion zur Interkulturellen Woche beizusteuern. In Kooperation mit dem Beilngrieser Schachclub um dessen Vorsitzenden Marcus Denner wurde das Konzept für ein lebendiges Schachspiel entwickelt: Auf einem großen Schachbrett nehmen Menschen die Rollen der Figuren ein. Zug um Zug werden sie von fachkundigen Beratern „bewegt“. So wie Bürgermeister Schloderer alias König Helmut bei besagter Rochade.

Viele Parallelen zwischen Spiel und Leben

Junge und ältere Menschen, Einheimische und Mitbürger mit anderen Wurzeln, Männer und Frauen – es ist eine bunte Mischung, die sich am Dienstagnachmittag auf das Schachbrett begibt. „Da stellt sich die Frage: Kann dieses Zusammenspiel heute hier beim Schachspiel oder eben im ganz normalen Leben überhaupt funktionieren?“, spannt Ingrid Dütsch den Bogen zwischen Spiel und Realität. Auch in Letzterer schlüpfe man als Mensch in verschiedene Rollen, genau wie es die Mitspieler nun mit ihren Kostümen tun. Und genau wie im echten Leben habe auch beim Spiel jeder andere Fähigkeiten und Stärken. Tja, und auch das ist auf beiden Ebenen identisch: Man weiß vorher nie genau, wie es sich entwickeln wird.

Dass es jedenfalls niemals schaden kann, gute Partner an der Seite zu haben, bringt Dütsch bei ihren Dankesworten zum Ausdruck. Sie bezieht darin alle Mitstreiter aus der Gruppe der Ukraine-Helfer mit ein, außerdem den Schachclub, die jede Woche aufs Neue so wichtige Dolmetscherin Oksana Weber, das Gymnasium Beilngries, ihren Mann Georg und Tochter Anna und alle weiteren Personen, die sich mit Ideen und Tatkraft einbringen. Dazu zählen ausdrücklich auch die Mitbürger aus der Ukraine, die sich jede Woche im Bürgertreff sehen. Mit großer Begeisterung steuern die Frauen Kuchen und echte ukrainische Spezialitäten wie Borschtsch bei, die bei allen sehr gut ankommen. Und, natürlich, sie spielen auch beim lebendigen Schach gerne mit.

Mit besonders großer Begeisterung erleben Wladislaw und Stanislaw den Tag. Seit neun Jahren spielen sie Schach, lassen die jungen Männer im Gespräch mit unserer Zeitung wissen. Wie gut sie darin sind, beweisen sie bei einem weiteren Programmpunkt – dem Simultanschach. Im fliegenden Wechsel nehmen sie es dabei parallel mit jeweils fünf Spielern gleichzeitig auf. Äußerst erfolgreich, wohlgemerkt!

Und das Lebend-Schach? Da einigen sich die Mitspieler, als einige Regentropfen vom Himmel fallen, auf ein Remis. Weil es eben nicht immer nur ums Siegen gehen muss. Sondern, und das könnte man nicht besser sagen als Ingrid Dütsch: „Gewinner können wir alle sein, nämlich dann, wenn jeder von uns einen schönen Tag verbringt.“

„ICH HABE VIELE TRÄUME. IMMER.“

„Schön: Liebe, Beilngries. Ich lerne hier. Am guten Gymnasium Beilngries. Schultag.“

Das, was auf den ersten Blick abgehackt oder durcheinander klingen mag, ist Wortkunst. Kreative Wortkunst. „Elfchen“, wie die Versammelten beim interaktiven Begegnungstag erfahren. Elf Wörter, die Einblicke gewähren in die Stimmungslage junger Menschen, über deren Heimat ein Krieg hereingebrochen ist und die nun in der Fremde Fuß fassen müssen.

„Unklar. Die Zukunft. In der Ukraine. Ich würde Deutschland verlassen. Pläne?“

Am Beilngrieser Gymnasium werden seit mehreren Monaten junge Menschen aus der Ukraine betreut und unterrichtet, entsprechend der bildungspolitischen Vorgaben seit diesem Schuljahr in einer so genannten Brückenklasse. Ein echter Segen ist dabei Hanna Visko. Sie ist Ukrainerin und unterrichtet ihre jungen Landsleute. Unter anderem wurden dabei die „Elfchen“ entwickelt, die nun Bestandteil des Aktionstags sind.

„Beilngries. Die Natur. Fluss mit Enten. Mal süße Enten füttern – Idylle.“

Neben Hanna Visko nehmen Lehrkräfte des Gymnasiums und Schulleiterin Sabine Nolte-Hartmann am lebenden Schachspiel teil. Wie außerdem zu erfahren ist, möchte Lehrkraft Dominik Schramm eine Schach AG am Gymnasium etablieren.

„Sicherheit bedeutet Pläne: Geh zum Ziel! Ich habe viele Träume. Immer.“