„Sehr reale Gefahr“
Schäden nach Beschuss von AKW-Anlage: Atombehörde alarmiert

07.08.2022 | Stand 07.08.2022, 13:14 Uhr

Ein Stromerzeugungsblock im Kernkraftwerk Saporischschja in der Stadt Enerhodar im Süden der Ukraine am 12. Juni 2008. −Foto: Olexander Prokopenko/AP/dpa

Beim Beschuss des Atomkraftwerkgeländes Saporischschja am Freitag sind Schäden am Gelände entstanden. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde ist alarmiert.



Das größte Atomkraftwerk Europas liegt im von Russland besetzten Teil der Südukraine - bereits mehrfach kam es dort in den vergangenen Kriegsmonaten zu brenzligen Situationen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem „Akt des Terrorismus“ durch die russische Seite und forderte neue Sanktionen, die gezielt die Nuklearindustrie des Nachbarlands treffen sollten.



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„Gleichbedeutend mit Einsatz einer Atombombe“

Das Außenministerium in Kiew warnte: Sollte ein Reaktor im Betrieb getroffen werden, seien die möglichen Folgen „gleichbedeutend mit dem Einsatz einer Atombombe“. Die staatliche ukrainische Atombehörde Enerhoatom erklärte, durch den Beschuss seien eine Stickstoffanlage und ein Hilfskorpus des Kraftwerks beschädigt worden. „Es bleibt das Risiko, dass Wasserstoff austritt und sich radioaktive Teilchen verteilen, auch die Brandgefahr ist hoch.“

In Teilen der Stadt Enerhodar, in der das Kraftwerk liegt, seien Strom- und Wasserversorgung ausgefallen, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Zudem habe ein Block des AKW teilweise abgeschaltet werden müssen. Während Moskau ukrainische Truppen für den Beschuss verantwortlich machte, sprach Kiew davon, dass die Russen das Gelände selbst beschossen hätten. Unabhängig sind die Angaben nicht zu überprüfen.

IAEA-Chef wegen Angriff „alarmiert“

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) dringt nun auf Zugang zu dem besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Er sei „alarmiert“ über den Beschuss vom Freitag, erklärte IAEA-Chef Rafael Grossi. Er wolle weiterhin eine IAEA-Experten-Mission anführen, die sich vor Ort ein Bild von der Lage macht. „Ich werde nicht aufgeben“, kündigte er an und forderte Kiew und Moskau auf, eine solche Mission zu ermöglichen.

Die IAEA versucht seit Wochen, Inspekteure zu der Anlage zu entsenden. Die Ukraine hat dies bisher abgelehnt, da ihrer Ansicht nach dadurch die Besetzung des Ortes durch Russland in den Augen der internationalen Gemeinschaft legitimiert werden würde.

Der Angriff am Freitag „unterstreicht die sehr reale Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die die öffentliche Gesundheit und die Umwelt in der Ukraine und darüber hinaus bedrohen könnte“, sagte der IAEA-Chef Rafael Grossi. Er hielt fest, dass auf dem Gelände Schäden entstanden seien, dass aber die Reaktoren unversehrt seien und keine Radioaktivität ausgetreten sei.

Ukraine: AKWs in Deutschland laufen lassen

Die ukrainische Regierung hat außerdem an die Grünen appelliert, die letzten Atomkraftwerke in Deutschland über das Jahresende hinaus weiterlaufen zu lassen. Der kommende Winter sei ein „Schlüsselwinter“, sagte der engste Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, dem „Tagesspiegel“ (Sonntagausgabe). Es sei angesichts der Drosselung russischer Gaslieferungen nicht sinnvoll, die drei Anlagen im Dezember abzuschalten

„Wir müssen zwingend alles nutzen, was wir haben, um schnellstmöglich eine neue Energielandkarte in Europa zu schaffen und um nicht weiter den Krieg Russlands zu finanzieren“, betonte der Präsidentenberater. Es gehe in dieser Frage auch um Führungsstärke. „Wir zahlen einen hohen Preis, viele Menschen sterben. Wir hoffen, dass unsere Partner diesen Preis sehen und verstehen und ihrerseits alles tun, was möglich ist“, sagte Podoljak.

− dpa/afp