Großer öffentlicher Auftritt
Merkel meldet sich in TV-Interview zurück: Das sagt sie zu ihrer Russland-Politik

Ex-Kanzlerin stellt sich erstmals seit Ausscheiden aus dem Amt Journalisten-Fragen

08.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:28 Uhr

Angela Merkel wollte sich zu „den herausfordernden Fragen unserer Gegenwart“ äußern. −Foto: Fabian Sommer/dpa

Lange hat die Ex-Kanzlerin geschwiegen – das hat nun ein Ende: Angela Merkel (CDU) stellte sich am Dienstagabend erstmals seit dem Ende ihrer Kanzlerschaft den Fragen eines Journalisten.



Das Interview im Video sehen Sie hier.

Mit Spannung wurde unter anderem erwartet, wie sie sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine über ihre Russland-Politik und ihr Verhältnis zu Präsident Wladimir Putin äußert. Die 67-Jährige wollte im Gespräch mit dem „Spiegel“-Reporter Alexander Osang laut Einladung zu „den herausfordernden Fragen unserer Gegenwart“ Stellung beziehen. Die Veranstaltung wurde vom Aufbau Verlag und dem Berliner Ensemble organisiert. Osang hat Merkel bereits mehrfach porträtiert.

Merkel hatte nach dem Desaster von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) bei der Bundestagswahl im September 2021 am 26. Oktober ihre Entlassungsurkunde erhalten. Sie war noch bis zur Vereidigung ihres SPD-Nachfolgers Olaf Scholz am 8. Dezember geschäftsführend im Amt. Die CDU-Politikerin hatte damals für die Zeit nach Amtsende eine mehrmonatige Ruhephase und öffentliche Auszeit angekündigt. Zum russischen Angriff auf die Ukraine hatte sie sich in den vergangenen Monaten nur in wenigen schriftlichen Stellungnahmen geäußert.

Laudatio beim Abschied des langjährigen DGB-Chefs

Am vergangenen Mittwoch beendete Merkel ihre öffentliche Zurückhaltung und hielt die Laudatio beim Abschied des langjährigen DGB-Chefs Reiner Hoffmann. Sie wolle als Bundeskanzlerin außer Dienst keine Einschätzungen von der Seitenlinie abgeben, sagte sie dabei. Doch zu sehr markiere Russlands Einmarsch einen eklatanten Bruch des Völkerrechts in der Geschichte Europas nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie unterstütze alle entsprechenden Anstrengungen der Bundesregierung, der EU, der USA, der Nato, der G7 und der UN, „dass diesem barbarischen Angriffskrieg Russlands Einhalt geboten wird“.

Merkel hatte in ihrer Amtszeit stets Wert darauf gelegt, den Gesprächsfaden zu Putin nicht abreißen zu lassen. So wollte sie ein Fenster für diplomatische Krisenlösungen offen halten. Im kleinen Kreis hatte sie keinen Zweifel über ihre Einschätzung Putins als kalten, berechnenden Taktiker gelassen, von dem sie wusste, dass sie auch mit Lügen zu rechnen hatte. Angesichts der deutschen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen wird Merkels Umgang mit der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 kritisiert.

Schon Mitte Juli 2021 hatte Merkel bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Johns-Hopkins-Universität in Washington gesagt, sie wolle es nach Ende ihrer 16-jährigen Amtszeit langsam angehen lassen. Sie wolle nachdenken, „was mich so eigentlich interessiert“.

Entspannung in der Uckermark

Nach Informationen aus ihrem Umfeld hat sich die Ex-Kanzlerin in den ersten Wochen nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nahe Templin in der Uckermark entspannt, wo sie ein Haus hat, oder bei langen Spaziergängen an der Ostsee. Dabei habe sie sich zu einem Fan von Hörbüchern entwickelt und genieße Klassiker wie Macbeth, die Tragödie von William Shakespeare.

Der Auftritt im Berliner Ensemble gehört zum Plan Merkels für einen sanften Wiedereinstieg in die Öffentlichkeit. Hintergrund des Gesprächs ist ein 2021 im Aufbau Verlag erschienenes Buch mit dem Titel „Was also ist mein Land?“. Darin sind drei Reden Merkels abgedruckt: Ihre Ansprache zum Tag der Deutschen Einheit 2021, die Rede vor der israelischen Knesset 2008 und Äußerungen zu ihrer Entscheidung von 2015, in der damaligen Flüchtlingssituation die deutschen Grenzen offen zu halten.

− dpa