Der Kampf um ein Medienimperium, der Alltag an einer Problemschule und die Sonderwünsche von Superreichen im Luxusurlaub: Die Emmy-Awards blicken in diesem Jahr in alle Winkel unserer Gesellschaft.
Es sind die wichtigsten TV-Auszeichnungen der Welt: Am Montagabend werden im Microsoft Theatre in Los Angeles die 74. Primetime Emmy Awards vergeben. Wie immer sind sie auch ein Beweis dafür, was die Menschen zuletzt besonders unterhalten und beschäftigt hat. Und das heißt in diesem Jahr vor allem eins: Realismus statt Alltagsflucht.
Anders als noch vor einigen Jahren sind keine kunstvollen Fantasy-Welten à la «Game of Thrones» oder «Westworld» ausgiebig in den Dramakategorien nominiert und es geht auch nicht gemeinsam ins schrullige Dörfchen «Schitt’s Creek» für die Comedypreise. Stattdessen schauen viele der besonders aussichtsreichen nominierten Produktionen sehr konkret auf den wirklichen Alltag in verschiedenen Schichten unserer Gesellschaft.
25 Nominierungen für «Succession»
Da ist die superreiche Familie Roy in «Succession», eine beeindruckend ausgestattete und in jeder Sekunde brilliant dicht gespielte Dramaserie über ein untergehendes Medien-Imperium und die darum intrigierenden Erben. Hollywood munkelt darüber, wie viel des Stoffes an den unter anderem hinter Fox News steckenden realen Murdoch-Clan angelehnt ist, und kann nicht genug bekommen: 25 Emmy-Nominierungen sind Rekord 2022.
Als starke Konkurrenz gilt das 14-fach nominierte und sehr anspruchsvolle «Severance», eine Büro-Mystery-Serie mit Science-Fiction- und Thriller-Elementen, die generell das Verhältnis der Menschen zu ihrer Arbeit in Frage stellt.
Etwas aus den Alltagsbetrachtungen heraus sticht der Netflix-Hit «Squid Game», eine blutige südkoreanische Gesellschaftssatire über eine fiktive Spielshow mit Dutzenden Toten. Die drastische Kapitalismuskritik kommt auf 14 Nominierungen und ist die erste nicht-englischsprachige Serie, die je in der Königskategorie bestes Drama siegen könnte. Neben diesen dreien sind «Better Call Saul», «Euphoria», «Ozark», «Stranger Things» und «Yellowjackets» in der prestigeträchtigsten Kategorie des Abends vorgeschlagen.
«Abbott Elementary» großer Comedy-Favorit
Herzlicher geht es bei einem der Top-Favoriten unter den Comedy-Serien zu: «Abbott Elementary» ist der freundliche Blick auf eine unterfinanzierte Grundschule in Philadelphia, gedreht im pseudodokumentarischen Stil von «The Office» und «Stromberg». Viele Sympathien sammelt hier auch Erfinderin Quinta Brunson, die auch in der Hauptrolle als gutmütige Junglehrerin Janine auf einen Emmy hoffen kann.
Die NBC-Wohlfühlserie hat sich in den USA zum Überraschungsquotenhit entwickelt und wäre seit acht Jahren die erste «Beste Comedy», die nicht im US-Kabel- oder Streaming-Fernsehen, sondern auf einem der frei empfangbaren Sender läuft, die oft einen etwas verstaubten Ruf haben. In Deutschland ist «Abbott» bei Disney+ zu sehen.
Ebenfalls im Streaming läuft die stärkste Konkurrenz: Fußballtrainer «Ted Lasso» über einen Amerikaner, der ein britisches Team übernimmt. Die Apple-TV+-Serie mit Jason Sudeikis konnte bereits im vergangenen Jahr abräumen und kommt dank vieler Mehrfachnennungen in den Schauspiel-Kategorien auf insgesamt 20 Nominierungen.
Klingt etwas unübersichtlich und ist es manchmal auch: Mehr als 110 Kategorien gibt es bei den Emmys, darunter auch Exoten wie «Bestes Make-up (Prothese)» und «Bester Sprecher» für Dokumentationen, ein Preis, der in diesem Jahr an Barack Obama für eine Reihe über US-Nationalparks ging.
Am Montag gibt die «Academy of Television Arts & Sciences» nur noch die Ausgezeichneten in den etwa zwei Dutzend wichtigsten Kategorien bekannt. Neben Drama- und Comedy-Kategorien widmen sie sich in einer dritten Sparte auch ausgiebig Miniserien aus dem Ausstrahlungszeitraum von Juni 2021 bis Mai 2022.
Und auch dabei siegte oft die Realität über die Fiktion, denn neben der aussichtsreichen Luxusurlaub-Satire «White Lotus» sind gleich vier Serien nominiert, die auf tatsächlichen Begebenheiten basieren: «Dopesick» behandelt die Opioid-Krise in den USA, «The Dropout» erzählt vom Startup-Betrug der Biotech-Firma Theranos, «Inventing Anna» blickt auf die Betrügerin Anna Sorokin und «Pam & Tommy» rückt den Skandal rund um ein Sex-Video von «Baywatch»-Star Pamela Anderson und Drummer Tommy Lee in den Vordergrund.
Spätestens damit schaut es so aus, als müssten all diejenigen, die sich von ihren Award-Shows vor allem Ablenkung von der Realität wünschen, bis aufs nächste Jahr warten. Dann sind unter anderem der «Games of Thrones»-Nachfolger «House of the Dragon» und Amazons «Herr der Ringe»-Adaption wählbar.
(Die Verleihung beginnt am Montag um 17.00 Uhr Ortszeit, das entspricht 2.00 Uhr am Dienstag in Deutschland.)
© dpa-infocom, dpa:220911-99-714488/4
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