Eichstätt
Ukrainer aus der Region spricht von „Krieg mit genozidalen Zügen“

Oleksandr Petrynko, Rektor des Collegium Orientale, über den russischen Überfall auf seine Heimat Ukraine

14.04.2022 | Stand 14.04.2022, 18:45 Uhr

Schon zu Kriegsbeginn zeigten sich die Eichstätter auf Mahnwachen solidarisch mit der überfallenen Ukraine. Es folgten die regelmäßigen ökumenischen Friedensgebete auf dem Residenzplatz. Fotos: Wermter

Von Angela Wermter

Eichstätt – Die Kriegsgräuel in der Ukraine sprechen für sich – es gibt auch nicht den geringsten Anlass für Optimismus. Zählten die Menschen zu Beginn noch Tag Eins, Tag Zwei, Tag Drei, ergeben sich mittlerweile wöchentliche Zeiteinheiten.

Oleksandr Petrynko hält ein baldiges Kriegsende für unwahrscheinlich. „Es ist zwar anzunehmen, dass der russische Präsident Wladimir Putin einen Blitzkrieg mit schnellem Ende geplant hatte“, sagt der Rektor des Collegium Orientale in Eichstätt. Er ist selbst Ukrainer und hält mit seiner Familie Kontakt. „Aber Putin hatte nicht mit der entschlossenen Gegenwehr und Verteidigung der Ukrainer gerechnet.“ Und er habe wohl auch die westliche Unterstützung, die Solidarität und die Folgen der Sanktionen unterschätzt. Putin könne jetzt dennoch nicht aufgeben, die Ukrainer mit ihren prowestlichen und demokratischen Überzeugungen aber auch nicht. Trotz Tausender Toter.

„Putin wird weitermachen, bis er seine neoimperialistischen Ziele verwirklicht hat – wobei die genozidalen Züge bei der Umsetzung seiner Pläne nicht zu übersehen sind“, betont Petrynko. Ein Krieg also, bei dem die ukrainische Bevölkerung ausradiert werden soll. Mit den Angriffen auf Zivilisten, den Bombardierungen von Wohnhäusern und Kliniken werde gegen Kriegsrecht verstoßen. Auch US-Präsident Joe Biden fand deutliche Worte: Er wirft dem russischen Staatschef Putin Völkermord vor.

„Die Brutalität, mit der russisches Militär in der Ukraine vorgeht, zeigt, dass es keine ethischen Grenzen gibt“, stellt Petrynko klar. Und Spezialeinheiten und Söldner handelten ebenfalls mit unglaublicher Grausamkeit. Davon zeugten Berichte, Videos und Fotos aus Orten und Stadtvierteln, die russische Soldaten eingenommen hatten und die dann wieder abgezogen sind. Petrynko hat auch Kenntnis von Plünderungen in ukrainischen Häusern, nachdem die Bewohner getötet wurden oder auf der Flucht sind.

Oleksandr Petrynko befürchtet, dass Odessa wegen seiner geographischen Lage im Süden mit Zugang zum Schwarzen Meer das nächste große Ziel des russischen Angriffs sein wird. „In dieser eigentlich russisch geprägten Millionenstadt hat sich Putin mit seinem Überfall sehr unbeliebt gemacht.“ Dennoch: Putin wolle und brauche einen Stützpunkt im Süden. Darauf bereite sich die Ukraine jetzt vor. „Es ist zu befürchten, dass der Krieg noch brutaler wird“, warnt Petrynko. Und noch ein Gedanke lässt den Rektor nicht los. Mit Hinweis auf besondere Gedenktage, die in Russland groß gefeiert werden und die die Nation in der Regel auch zusammenschweißen, blickt Petrynko besorgt auf den 9. Mai. „Es ist der Tag des Sieges über den deutschen Faschismus.“ Da käme es einem Machtmenschen wie Putin durchaus gelegen, wenn er gleich zwei Siege feiern könne – den über die Kriegsgegner des Zweiten Weltkriegs 1945 und 2022 den Sieg über die Ukraine.

Collegium Orientale

Das Collegium Orientale ist ein interkonfessionelles Studienkolleg des Bistums Eichstätt. Dort leben Priesteramtskandidaten und Geistliche unterschiedlicher Ostkirchen. Viele studieren an der Katholischen Universität Ingolstadt Eichstätt – auch 30 junge Männer aus der Ukraine. Nach Angaben von Rektor Oleksandr Petrynko waren zu Kriegsbeginn sieben von ihnen auf Heimatbesuch. Vier sind bereits wieder in Eichstätt. „Trotz der allgemeinen Mobilmachung dürfen die anderen drei als Geistliche und Studenten das Land verlassen“, sagt Petrynko. Er hat auch die erforderlichen Bescheinigungen an die Behörden geschickt. Doch noch konnten sie die Ukraine nicht verlassen. „Sie müssen jetzt nicht mit der Waffe an die Front, aber sie werden andernorts gebraucht, etwa in Krankenhäusern.“ Oleksander Petrynko ist dennoch zuversichtlich: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie über die Grenze können.“ Immerhin: Die Veranstaltungen im neuen Semester beginnen Mitte April.

EK