Ingolstadt
"Da hat alles gepasst"

Vor 40 Jahren schoss Klaus Fischer per Fallrückzieher das "Tor des Jahrhunderts"

15.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr

Ingolstadt (DK) Am 16. November 1977 hat Klaus Fischer Fußball-Geschichte geschrieben. Beim 4:1 im Länderspiel in Stuttgart gegen die Schweiz startete Rüdiger Abramczik in der 59. Minute einen seiner gefürchteten Läufe auf der rechten Seite und flankte in den Strafraum. Fischer stieg hoch, nahm den Ball im Strafraum quer in der Luft liegend an und drosch ihn ins Gehäuse. Der Treffer wurde schließlich "Tor des Jahrhunderts" - und Fischer zum Fallrückzieher-Helden.

Herr Fischer, Sie wurden gestern im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund für den schönsten aller Ihrer Fallrückzieher geehrt - für das Tor zum 4:1-Endstand im Länderspiel gegen die Schweiz am 16. November 1977, heute vor 40 Jahren.

Klaus Fischer: Moment, das war meiner Meinung nach nicht mein schönster.

 

Sondern?

Fischer: Noch besser war mein Fallrückzieher in einem Spiel 1978 gegen die damalige UdSSR. Von der Art war der Fallrückzieher ähnlich, ging aber anders als der gegen die Schweiz richtig unter die Latte. Der hat aber leider nicht gezählt, weil der Schiedsrichter die Aktion wegen gefährlichen Spiels abgepfiffen hat - unberechtigt. Ich hatte keinen Gegenspieler berührt, im Rücken auch niemanden kommen gesehen. Außerdem war das nur ein Testspiel, da hätte man das Tor schon geben können. (lacht)

 

Ihr Treffer gegen die Schweiz 1977 wurde in der ARD zum "Tor des Monats", "Tor des Jahres", "Tor des Jahrzehnts" und schließlich zum "Tor des Jahrhunderts" gewählt.

Fischer: Da hat alles gepasst, der war perfekt gelungen. Die Flanke von Rüdiger Abramczik, mit dem ich sieben Jahre gemeinsam bei Schalke gespielt habe, war optimal. Wir haben super harmoniert. Aber es gehört immer auch Glück dazu bei einem Fallrückzieher-Tor.

 

Welcher Fußballer hat heutzutage solch einen Fallrückzieher drauf?

Fischer: Solche wie gegen die UdSSR oder die Schweiz? Niemand! Aber wissen Sie, ein Fallrückzieher ist auch nicht so einfach. Du musst den Mut dazu haben, kannst dich ja dabei auch verletzen. Es muss alles stimmen: Im Strafraum darf nicht zu viel Verkehr sein, die Flanke muss sitzen, und es muss schnell gehen, sonst hat sich der Gegner formiert. Es gibt verschiedene Arten von Fallrückziehern. Mein Tor 1982 gegen Frankreich (zum 3:3 im WM-Halbfinale von Sevilla, d. Red.) war anders. Relativ einfach, aber das wichtigste Tor, weil wir das Elfmeterschießen erreicht haben. Heutzutage sieht man kaum noch richtige Fallrückzieher, aber wir haben ja in Deutschland auch keine Weltklasse-Mittelstürmer mehr.
 

Wirklich nicht?

Fischer: Nur Mario Gomez und Sandro Wagner sind für mich echte Mittelstürmer. Oder früher Miroslav Klose.

 

Und was ist mit Leipzigs Timo Werner?

Fischer: Werner ist ein anderer Stürmertyp, lebt von seiner Schnelligkeit.

 

Bundestrainer Joachim Löw hatte bei den Testländerspielen gegen England und Frankreich Wagner nominiert, Gomez nach dessen Verletzungspause dagegen nicht. Wen würden Sie zur WM 2018 mitnehmen?

Fischer: Wagner. Er ist der bessere Mitspieler, kann den Ball behaupten, verlängern, ist auch in der Luft gut. Außerdem setzt er seinen Körper ein, hat eine gute Ausstrahlung, lässt sich nichts gefallen und hat in seinen wenigen Länderspielen schon einige Tore erzielt. Vielleicht brauchst du ihn bei der WM nicht gegen jeden Gegner, dennoch würde ich ihn auf jeden Fall mitnehmen.

 

Was halten Sie vom System mit einer "falschen Neun", mit einem zurückgezogenen, spielstarken Mittelfeldspieler ganz vorne? Wie Lionel Messi oder Mario Götze?

Fischer: Nichts! Natürlich ist Götze ein guter Spieler, sehr ballsicher. Aber ohne Mittelstürmer haben wir das EM-Halbfinale 2016 gegen Frankreich verloren. Wir waren besser, haben aber kein Tor gemacht.

 

Gomez fehlte verletzt.

Fischer: Ja, und Thomas Müller ist nicht der Typ dafür, das ist nicht seine Rolle ganz alleine vorne drin. Er muss wie bei der WM 2014 um einen Mittelstürmer, damals Klose, herumspielen. Dann kommt er viel besser zur Geltung.

 

Wie beim FC Bayern. Der beste Mittelstürmer der Bundesliga ist Robert Lewandowski. Einspruch?

Fischer: Nein. Lewandowski ist ein kompletter Stürmer, kann alles. Den sollte Bayern so lange wie möglich halten. Und er sollte bei Bayern bleiben. Wenn er sich wohlfühlt, wenn das Spiel auf ihn zugeschnitten ist, weil die Mitspieler wissen, wie sie ihn bedienen müssen - warum nicht?

 

In der Winterpause wollen die Bayern einen Ersatz für Lewandowski verpflichten - was von Trainer Jupp Heynckes sehr forciert wird.

Fischer: Das wird schwierig, fast unmöglich. Ein Nationalspieler wird nicht kommen und sich dauerhaft auf die Bank setzen. Zu Gerd Müllers Zeiten wäre ich auch nicht zu Bayern gegangen. Vielleicht finden sie einen jungen Stürmer, den sie ausbilden können, der hinter Lewandowski heranreift. Generell sollten in den Jugendmannschaften wieder gezielt Mittelstürmer ausgebildet werden. Ich halte nichts davon, dass jeder Spieler alle Positionen erlernen soll. Torhüter und Mittelstürmer sind die Wichtigsten - da brauchst du zwei Raketen.

 

Hermann Gerland, unter Heynckes wieder Assistent, lässt die Spieler an der Säbener Straße regelmäßig am Kopfballpendel antreten. Eine Old-School-Methode?

Fischer: Überhaupt nicht! Da holt man sich die Sprungkraft, das Timing und die Technik. Und man lernt vor allem, wo man den Ball hinköpfen will.

 

Das Interview führte Patrick Strasser.