Eichstätt
''Beste Entscheidung meines Lebens - bis jetzt''

20.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:40 Uhr
Er war dann mal weg: Im Sommer 2015 radelte der heute 22-jährige Sebastian Hiller los. Auch Australien erkundete er mit dem Rad. −Foto: Sebastian Hiller

Eichstätt (EK) Der Eichstätter Sebastian Hiller, 22 Jahre alt, reiste vor drei Jahren mit dem Rad um die „halbe Welt“: Was macht er heute?

Mit dem Rad durch Indien, Thailand, Australien, Nepal und Westafrika. Im Sommer 2015 startete der Eichstätter Sebastian Hiller zu einer Reise um die „halbe Welt“. Längst ist er zurückgekehrt in ein bürgerliches Leben und damit ein wenig aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden. Doch was macht der damalige Abiturient heute – und wie denkt er mit ein wenig Abstand über das Reisen, das Gefühl, was Heimat ausmacht – und wie spielt sich sein Leben nach der großen Tour ab? Der EICHSTÄTTER KURIER hat sich mit Hiller unterhalten.

2015 haben Sie sich auf den Weg gemacht, zehn Monate waren Sie insgesamt unterwegs. Wenn Sie jetzt zurückblicken auf dieses Abenteuer, was hätten Sie anders gemacht?
Sebastian Hiller: Je mehr Zeit vergeht, desto klarer ist mir, dass ich auch heute nichts anders machen würde. Denn der Streckenverlauf und das, was ich erlebt habe, hing teilweise ja auch vom Zufall ab. Würde ich noch einmal eine Reise machen, dann würde sie definitiv eine völlig andere sein. 
 

Was bedeutet das konkret? 
Hiller: Wenn ich jetzt schon mit meinem Studium fertig wäre, würde ich sofort mit meiner Freundin, aber ganz sicher nicht mehr alleine losfahren. Ich habe erkannt, dass ich mich schwer tue mit Einsamkeit. Ich habe durch die Reise schätzen gelernt, wie wichtig es ist, jemanden an meiner Seite zu haben, mit dem ich die Gänsehautmomente teilen kann. Ich würde aber auch gerne auf unbestimmte Zeit einfach raus – egal ob mit dem Fahrrad, dem Zug, dem Auto oder trampen. 

Was hat Sie besonders geprägt?
Hiller: Auf meiner Reise habe ich zwar viele schöne Orte gesehen, aber genauso viele verdreckte, verschmutzte Orte. Aber wenn ich in Eichstätt bin, und durch das Hessental oder an der Altmühl entlang gehe, wird mir bewusst, dass es hier im Vergleich zum Süden Nepals oder zu Westafrika eine so schöne Natur gibt, auf die die Menschen auch achten. Das schätze ich unheimlich und das ist mir erst danach so richtig bewusst geworden. 

Inwiefern hat sich Ihre Einstellung zum Reisen verändert? 
Hiller: Ich habe gemerkt, dass die Leute oft erst außerhalb Europas anfangen, als Backpacker zu reisen. Dabei könnten sie ganz einfach im eigenen Bundesland oder Land anfangen – mit dem Rucksack nach Italien trampen und wandern oder in die Schweiz. Ich bin damals auch erst in Salzburg gestartet, weil ich irgendwie eine Hemmschwelle hatte, hier im eigenen Land als Backpacker zu starten. Aber wenn ich heute mal zwei Tage Zeit habe, gebe ich mir selbst einen Tritt in den Hintern und reise los. 
 

Welche Situation empfinden Sie auch im Nachhinein noch besonders schwierig? 
Hiller: Der mauretanisch-senegalesische Grenzübergang bei Rosso war sehr turbulent. Leute haben versucht, mein Gepäck und das Fahrrad zu klauen. In dieser Situation musste ich höllisch aufpassen, was ich sage oder mache.

Im Norden Ghanas waren Sie eine halbe Nacht im Gefängnis. Die Polizei warf Ihnen Passfälschung vor und dass Sie ein ungültiges Visum hätten. Wie haben Sie sich in dieser brenzligen Situation gefühlt? 
Hiller: Das war auf meiner Reise die einzige Situation, in der ich wirklich Angst hatte. Ich wollte eigentlich nur einen Schlafplatz in der Polizeistation, weil ich sonst im Busch hätte schlafen müssen. Die Polizisten waren sehr aggressiv und hatten riesige Waffen und keiner war da, der helfen konnte. Um halb eins in der Nacht durfte ich aber dann endlich meine Zelle verlassen – ich war heilfroh. 

Glauben Sie, dass gerade diese brisanten Erlebnisse bis jetzt nachwirken und auch Ihr heutiges Leben prägen?
Hiller: Durch diese vielen Herausforderungen wie die problematischen Grenzübergänge, Entscheidungen, welchen Weg ich fahren soll, die Planung des Wasservorrats oder die Schlafplatzsuche, habe ich gemerkt, dass die vielen kleinen Probleme, die uns hier oft im Alltag beschäftigen, meist überhaupt keine wirklich großen Schwierigkeiten sind. 

Ändert sich die Aufmerksamkeit auch für die Kleinigkeiten des ganz normalen Alltags durch solch prägnante Erfahrungen wie die Ihren?
Hiller: Ich habe viele kleine Details, auf die ich normalerweise nie geachtet hätte, wieder ganz bewusst zu schätzen gelernt. Ganz einfache Momente wie beispielsweise den, mit meinen Eltern am Wochenende gemeinsam frühstücken zu können. 

 

Es scheint, als wären Sie durch die Tour ein bisschen ein anderer Mensch geworden? 
Hiller: Ja, auf jeden Fall. Ich merke, dass ich mich von Grund auf verändert habe. Wenn ich Leute treffe, die ebenfalls länger unterwegs waren, und ihnen in die Augen schaue, merke ich sofort, was die Reise mit ihnen gemacht hat. Es gibt einfach enorme Veränderungen in ihrer Denkweise und in ihrer Sicht aufs Leben. Bei mir persönlich ist am auffälligsten, dass sich mein Umgang mit Geld, meine Ziele verändert haben. Ich habe für mich einen Sinn im Leben gefunden. Ich möchte so intensiv und bewusst wie möglich leben, also einfach immer den Moment genießen.

Wenn Sie wie jetzt, nach drei Jahren, über die Reise sprechen, was geht dann in Ihrem Innersten vor? 
Hiller: Ich bekomme eine unglaubliche Sehnsucht, schon wenn ich mir die Bilder anschaue. Dann denke ich mir: Scheiße, das war die beste Entscheidung meines Lebens – bis jetzt. 

Gibt es eine zentrale Erkenntnis, die sie aus Ihrer Reise vielleicht auch erst im Nachhinein für sich gewonnen haben? 
Hiller: Ich möchte noch offener werden. Die Reise hat mir zum Beispiel jetzt gerade Mut gegeben, meinen Praxispartner bei meinem Studium zu wechseln. Ich habe ein duales Studium in der Tourismusbranche begonnen und in einem Fünf-Sterne-Ressort am Tegernsee gearbeitet. Aber ich habe irgendwann gemerkt, dass diese High Society überhaupt nicht meine Welt ist. Ich habe deshalb bei diesem Arbeitgeber gekündigt und das Studium bei einem neuen Betrieb fortgesetzt. Diesen Mut hätte ich früher nicht gehabt. Ich hätte nicht erkannt, dass es im Leben immer viele verschiedene Wege und Möglichkeiten gibt. Wie eben auch auf meiner Reise. 

Das Gespräch führte Anna Hausmann.

Der zweite Teil dieses Interviews folgt im Eichstätter Kurier am Samstag, 24. März - oder online bereits am Freitagabend, 23. März.
 

Film

Tiefe Schluchten, ferne Berglandschaften – und die Kamera immer mit dabei: Sebastian Hiller dokumentierte seine Reise und die Begegnungen mit fremden Kulturen. Das Ergebnis, der Film „You are Welcome“, ist derzeit auf Amazon Prime kostenlos zu sehen, der Preis für Nicht-Prime-Mitglieder beträgt ab 2,99 Euro.