Sascha Kirschstein: Ich bin eben bekloppt

29.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:49 Uhr
Sascha Kirschstein, die neue Nummer 1 des FC04. −Foto: U. Ziegler

Seefeld (DK) Er ist das, was man einen Typen nennt. Diese im Fußball so rar gewordene Spezies, die auf dem Platz ihr Ding durchzieht, sich nicht aus dem Konzept bringen lässt und auf Fans und Beobachter eine besondere Faszination ausübt. Torhüter Sascha Kirschstein, 1,96 Meter groß, 88 kg schwer und privat ein ganz lockerer, offener und positiver Zeitgenosse, ist ein solcher Typ. Vor allem dann, wenn er auf dem Feld sein zweites, sein Kämpfergesicht zeigt.

Wer den 30-jährigen Neuzugang des FC Ingolstadt in den Testspielen gesehen und vor allem gehört hat, weiß, was gemeint ist. Die lautstarken Anweisungen an seine Vorderleute sind nämlich nicht zu überhören. Bekommt er ein Gegentor, schreit er mit seiner heiseren Stimme über den ganzen Platz. Dann muss die Energie, die in ihm steckt, einfach raus. "Das ist mein Spiel, da werde ich mich sicher nicht ändern", erklärt der gebürtige Braunschweiger. Ruhige Torhüter mag Kirschstein einfach nicht. "Wenn Manuel Neuer zum Beispiel ein Tor bekommt, sagt er nichts und spielt einfach weiter. Er ist ohne Zweifel ein riesen Keeper, aber das verstehe ich nicht", erklärt "Kirsche".

Sieht er sich nach einem Spiel auf DVD, wundert er sich mitunter selbst über seine Art, nimmt seine zwei Gesichter aber mit Humor. "Ich bin eben bekloppt", sagt er dann nur und lacht.

Ohne Zweifel: Kirschstein, der beim Hamburger SV bereits in der Champions-League (drei Mal) und in der Bundesliga (23) im Einsatz war, hat das Zeug zum Leader. "Deswegen haben wir ihn ja auch geholt", meint Trainer Michael Wiesinger, "weil wir der Meinung sind, dass unsere ruhige Mannschaft so einen Spieler braucht."

30 Tätowierungen

Durch sein Auftreten strahlt Kirschstein, der aufgrund seiner 30 Tätowierungen auch optisch auffällt, genau die Portion Mut und Energie aus, die den Verantwortlichen auf der Torhüterposition zuletzt gefehlt hat. "Ich habe von Michael Lutz immer wieder gefordert, dass er seine Vorderleute mehr führen muss", sagt Torwarttrainer Brano Arsenovic. "Aber bei ,Lutzi’ wusste man nie: Hat er eine guten oder einen schlechten Tag? Er hat oft ein wenig unsicher gewirkt."

Bei Kirschstein, der in Ingolstadt einen Zweijahresvertrag unterschrieben hat, braucht man sich diese Sorgen wohl kaum machen. Extrovertiertes, selbstbewusstes Auftreten gehört für den 30-Jährigen einfach zu seinem Beruf, zu seiner Einstellung. Dabei kann er auch hart gegen sich selbst sein. So läuft er sogar bei Minusgraden unbedingt in kurzer Torwartmontur auf. "Das muss ich eben aushalten", erklärt er dazu. "Außerdem ist das ein Zeichen an den Gegner."

Bei allem Einsatz ist eines aber auch klar: Lautes Auftreten alleine macht einen noch nicht zum Leader. "Sascha muss natürlich auch den richtigen Zeitpunkt erkennen, und spüren, wenn die Jungs vor ihm wachgerüttelt werden müssen", fordert Trainer Wiesinger. Kirschstein hat bereits dazugelernt. "Gerade bei den jungen Spielern muss ich vielleicht etwas vorsichtiger sein", sagt er ein wenig nachdenklich. "Und loben muss ich natürlich auch mal."

Trotz seiner beachtlichen Erfahrung erlebt Kirschstein in seinem zehnten Profijahr im Übrigen auch beim FC Ingolstadt noch Neues. Bereits eine Woche vor dem offiziellen Trainingsbeginn hat er bei seinem Braunschweiger Ex-Coach Wolfgang Sandhove extra ein spezielles Torwart-Trainingsprogramm durchgezogen.

Ein neuer Kick

Dennoch macht ihm die harte Vorbereitung beim FC 04 mehr zu schaffen als erwartet. "Ich habe von Brano nochmal einiges gelernt. So eine intensive Vorbereitung habe ich noch nie mitgemacht", sagt Kirschstein. "Aber das ist okay." Nach einem vor allem in mentaler Hinsicht anstrengenden Jahr bei Zweitligaabsteiger Ahlen brauchte er den neuen Kick.

Inzwischen geht der Blick ohnehin längst nach vorne. "Uns hat keiner auf der Rechnung, wir können die Überraschungsmannschaft der Liga werden", glaubt er. So um Platz zehn erwartet er den FC Ingolstadt am Saisonende. Unter einer Voraussetzung: "Wenn jeder entsprechend mutig an die Sache rangeht." Er selbst scheut sich nicht, den Anfang zu machen.