Ingolstadt
Die Euphorie ist zurück

Nach vielen Höhen und Tiefen greift der ERC Ingolstadt nach den Sternen

15.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:48 Uhr

Eine Legende zollt Respekt: ERC-Rekordspieler Hans Huber (Zweiter von links), hier in einem Spiel 1988, sagt: „In den Play-offs entwickeln sich eigene Kräfte. Die Mannschaft hat eine enorme Wandlung hinter sich. Jeder hat sich um mehrere 100 Prozent gesteigert. - Foto: Archiv

Ingolstadt (DK) Eishockey ist in Ingolstadt wieder in. Im Moment sogar wie nie zuvor. Nur eine Stunde nach dem entscheidenden 5:3-Sieg des ERC Ingolstadt im Play-off-Halbfinale gegen die Hamburg Freezers am vergangenen Sonntag war das erste Heimspiel der morgen beginnenden Finalserie gegen die Kölner Haie bereits ausverkauft: 4815 Zuschauer sind am Karsamstag in der Saturn-Arena Zeugen des ersten Heim-Endspiels in der 50-jährigen Vereinsgeschichte der Panther.

Ruhebedürftige Anwohner werden froh sein, dass die Eishalle den Lärm nicht nach außen lässt. So können allenfalls Passanten und Spaziergänger im nahe gelegenen Klenzepark erahnen, welch ein Beben innen herrscht, wenn die Fans ihre Gesänge anstimmen. Und nicht nur sie. Selbst die Sitzplatzzuschauer schrien und klatschten in den Halbfinalduellen mit und zauberten Gänsehautatmosphäre in die Arena. Die Eishockey-Euphorie in der Schanz ist zurück.

So wie einst im alten, teilweise noch offenen „Panther-Käfig“ an der Jahnstraße. Damals bekamen auch die Anlieger noch etwas von der Stimmung im Stadion mit. Der Jubelschrei im April 1999, als das ERC-Team völlig überraschend in die Finalserie der 2. Bundesliga gegen die Düsseldorfer EG einzog, drang über die Donau bis in die Stadtteile nach Ringsee, Haunwöhr und Unsernherrn. Nur die Anfeuerungsrufe haben sich geändert. Genügte einst ein einfaches „Heja, heja, ERC“ oder „Bully, Tor“, werden jetzt pathetische Textzeilen wie „Schanzer Panther, wir sind immer für euch da, in jedem Spiel, in jedem Jahr“ oder „Unsere Heimat, unsere Liebe, unser Stolz, ist Ingolstadt“ intoniert.

Eishockey und Ingolstadt, das passte von Anfang an zusammen. Obwohl es die aus Kanada importierte Sportart nicht leicht hatte. Zehn Jahre dauerte es, bis nach der Vereinsgründung am 15. Januar 1964 ein überdachtes Eisstadion gebaut und somit ein regelmäßiger Spielbetrieb möglich wurde. Dann jedoch löste schon der Aufstieg in die Bayernliga einen Zuschaueransturm ohnegleichen aus. Im legendären Spitzenspiel gegen Farchant strömten über 5000 Besucher ins Stadion. Die Fans kletterten auf Bäume, Autodächer und suchten Halt auf den umliegenden Erdwällen, um einen Blick auf das Eis zu erhaschen. Kinobillets wurden als Eintrittskarten verkauft und auf dem Schwarzmarkt zahlte man bereitwillig 20 Mark für den Fünf-Mark-Stehplatz.

3600 ERC-Anhänger kamen in der Saison 1977/78 im Durchschnitt zu den Spielen und machten den fünftklassigen Verein aufgrund des Zuschauerbooms sogar zum Thema im Bayerischen Fernsehen. Im gleichen Jahr lieferten sich der MTV und ESV Ingolstadt einen packenden Kampf an der Spitze der Fußball-Bayernliga, aber von der Begeisterung im Eishockey konnten die Kicker nur träumen – sie waren oft froh, wenn 1500 Zuschauer ins Stadion kamen.

Dabei spielten bald kaum noch Ingolstädter im ERC-Team. „Wenn sie uns Landshuter nicht gehabt hätten, hätten sie gar keine Mannschaft zusammengebracht“, frotzelte einst Publikumsliebling Beno Retzer, einer der Helden der 80er Jahre in der Oberliga Süd. 1987 wurden die Blau-Weißen sogar Meister, aber zum Aufstieg in die 2. Bundesliga reichte es nie.

Es war die Zeit vieler Anekdoten, weil die treuesten Fans des öfteren nach dem Spiel mit den Panther-Cracks noch um die Häuser zogen. Geschichten wie das Erfrischungsbad eines Trainers, der nach durchzechter Nacht in einer Badewanne voller Eiswürfel für das nächste Training wiederhergestellt wurde, machten ebenso die Runde wie der legendäre Vertrag der Labelle-Brüder, die pro Tor bezahlt wurden und so erfolgreich waren, dass der Verein den Geldfluss einstellte und die Kanadier über Nacht aus Ingolstadt verschwanden.

Überhaupt das liebe Geld. 1989 war plötzlich keines mehr da, Schulden in Höhe von 300 000 Mark türmten sich auf, ein Neubeginn in der Landesliga war unabwendbar. Plötzlich waren die alten Ingolstädter Spieler oder solche, die hier sesshaft geworden sind, wieder gefragt. Mit ihnen und den Fans im Rücken – immer noch kamen 1000 im Schnitt – ging es erneut kometenhaft nach oben. 1991 war der Verein schuldenfrei, Trainer Ignaz Berndaner, der Olympiamedaillengewinner von 1976, schaffte 1998 erstmals den Sprung in die zweithöchste Liga, und Marketingleiter Lutz Dreisbach zog mit Leopold Stiefel, dem damaligen Chef des Media-Saturn-Konzerns, den entscheidenden Sponsor auf dem Weg zum Profiklub an Land.

Von damals 2,5 Millionen Mark stieg der Etat mittlerweile auf 6,5 Millionen Euro. Und, was ebenso zählte – Eishockey wurde gesellschaftsfähig. Als im Sponsorenkreis immer häufiger der Satz fiel „Gehen wir heute ins Theater oder zum Eishockey“, war der Durchbruch geschafft.

Mittlerweile spielen die Panther zwölf Jahre in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Viermal scheiterten sie im Halbfinale, jetzt haben sie ihr Ziel erreicht. „Einmal im Finale zu stehen, war immer unser Wunsch. Es freut mich riesig, dass die Mannschaft eine so tolle Leistung gezeigt hat. Das hätte im Januar niemand erwartet“, sagt der ERC-Beiratsvorsitzende Jürgen Arnold, der zudem seit 2009 DEL-Aufsichtsratsvorsitzender ist. Ihm dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein, denn der Erfolg hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können.

Zum einen passt das Finale perfekt zum Vereinsjubiläum. Zum anderen drängt es die vielen Negativschlagzeilen während der Saison in den Hintergrund: Kaufmännischer Leiter weg, Geschäftsführer weg, Sportdirektor weg, Niederlagenserie und Fanboykott – bis vor wenigen Wochen passte nichts in dieser Spielzeit. „Wir sind im Januar durch die Hölle gegangen. Das hat uns als Mannschaft zusammengeschweißt“, sagt Torwart Timo Pielmeier über die Phase, in der die Panther in zwölf Spielen zehn Niederlagen kassierten und Sportdirektor Jim Boni fluchtartig den Klub verließ.

Jetzt können die Panther mit dem Titel die Saison sogar noch krönen. Wichtiger als das ist für Arnold jedoch, dass der Erfolg beim Neustart hilft. „Wir mussten die Weichen neu stellen“, sagt Arnold zum Wechsel der kompletten Führung. Nun sollen der neue Sportdirektor Jiri Ehrenberger und Geschäftsführer Claus Gröbner die Panther lenken und zusammen mit Audi, das zusätzlich zu seinem Engagement beim FC Ingolstadt längst auch Hauptsponsor der Panther ist, den Profisport zukunftssicher machen. Das erste gemeinsame Projekt ist das Nachwuchsinternat mit dem FC Ingolstadt. Wenn es in einigen Jahren gelänge, die ersten Spieler aus der eigenen Jugend ins Profiteam zu führen und die Panther weiter im Konzert der Großen mitmischen können, sollte Eishockey in Ingolstadt auch weiter in bleiben.