Wolfsburg (DK
Erste Geständnisse bei VW

Ingenieure geben Einsatz der Manipulations-Software zu – Hackenberg immer mehr unter Druck

04.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:44 Uhr

Meisterin der Lachsalven: Martina Schwarzmann präsentiert „Gscheid gfreid“ - Foto: Dorn

Wolfsburg (DK) VW bleibt in der Krise. In Deutschland und Frankreich drohen wegen der Abgas-Affäre weitere Prozesse, in Amerika muss der US-Chef des Autokonzerns im Kongress aussagen. Die interne Aufklärung kommt indes wohl voran. Themen genug für eine weitere Sondersitzung der Aufseher.

Im Abgas-Skandal bei Volkswagen haben einem Zeitungsbericht zufolge mehrere Mitarbeiter Manipulationen gestanden. Die Ingenieure hätten bei Befragungen ausgesagt, 2008 die Schadsoftware installiert zu haben, berichtete die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf die interne Revision des Autobauers. VW wollte den Bericht nicht kommentieren.

Nach Angaben der Zeitung hatten die VW-Ingenieure keine Lösung gefunden, sowohl die Abgas-Normen als auch die Kostenvorgaben für den Dieselmotor mit der internen Bezeichnung EA 189 einhalten zu können. Daher sei die Entscheidung gefallen, die Software zur Manipulation der Abgas-Messwerte zu verwenden.

Unklar sei aber weiterhin, wer die Anweisung für die Installation gab. Wie die Zeitung weiter berichtete, hätten einige der befragten Ingenieure aber Vorwürfe gegen den damaligen VW-Entwicklungschef und derzeitigen Audi-Technikvorstand Ulrich Hackenberg erhoben. Dieser soll zumindest vom Einsatz der Manipulations-Software gewusst haben. Zur Rolle des derzeit beurlaubten Managers lägen aber widersprüchliche Aussagen vor, so das Blatt.

Die US-Umweltbehörde EPA, die den Skandal vor gut zwei Wochen öffentlich gemacht hatte, kündigte neue Tests an. An diesem Dienstag spricht der neue VW-Chef Matthias Müller in Wolfsburg erstmals zu den Beschäftigten, tags darauf steht die nächste Krisensitzung des Aufsichtsrats auf dem Programm. Dann soll nach dpa-Informationen auch der Präsidiumsbeschluss zur Wahl des bisherigen VW-Finanzchefs Hans Dieter Pötsch in den Aufsichtsrat abgesegnet werden. Als genüge dies nicht, muss am Donnerstag der US-Chef von VW, Michael Horn, im US-Kongress zu dem Skandal Rede und Antwort stehen.

Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ geht der VW-Aufsichtsrat von einem weitaus größeren Kreis an Mitwissern aus als bisher angenommen. „Die These, alles sei nur das Werk von ein paar kriminellen Entwicklern, ist nicht haltbar“, zitierte das Blatt aus dem Kontrollgremium. Der Konzern habe „systematisch Kunden und Behörden getäuscht“. Der Aufsichtsrat dränge den neuen VW-Vorstandschef Matthias Müller dazu, rasch in die USA zu reisen und dort Reue zu zeigen.

„Wir kommentieren diese Berichte nicht“, sagte ein VW-Sprecher. Das Unternehmen treibe die Aufklärung der Geschehnisse voran. „Sobald wir belastbare Ergebnisse haben, werden wir darüber informieren.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte unterdessen den Konzern zu einer raschen Aufklärung des Skandals auf. „Ich hoffe, dass VW jetzt schnell die notwendige Transparenz herstellt und die Dinge aufarbeitet“, sagte sie dem Deutschlandfunk. Ihrer Ansicht nach sei das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft aber „nicht so erschüttert, dass wir nicht weiter als ein guter Wirtschaftsstandort gelten“. EU-Parlamentschef Martin Schulz (SPD) griff VW indes mit scharfen Worten an. „Das war ein Anschlag auf den Standort Deutschland, auf viele tausend Kunden und Arbeitnehmer“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Nach Informationen der „Automobilwoche“ will der VW-Konzern ungeachtet des Skandals an seinen Absatzzielen für 2016 festhalten und verspricht seinen Vertriebspartnern Hilfen. In Deutschland suchen Kanzleien derweil nach Geschädigten für Sammelklagen. In Frankreich geht die Pariser Staatsanwaltschaft dem Verdacht des schweren Betrugs nach. Das Schweizer Bundesamt für Straßen erließ ein vorläufiges Zulassungsverbot für VW-Neufahrzeuge. Und in Australien stoppte die Tochter VW Australia den Verkauf einiger Dieselmodelle.

Bei den neuen EPA-Tests könnten auch andere deutsche Hersteller einbezogen werden. Ein auf den 25. September datiertes Schreiben der Behörde richtet sich pauschal an alle Autobauer. In dem Dokument weist die EPA darauf hin, mit den neuen Verfahren solle geprüft werden, ob Schummelsoftware (defeat device) verwendet wird.

Nach Berechnungen des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer drohen auch der Unternehmenstochter VW Financial Services sowie der VW-Handelsorganisation wegen des Abgas-Skandals allein in Deutschland Kosten von bis zu einer Milliarde Euro. Grund seien die gesunkenen Wiederverkaufswerte von Leasing-Rückläufern der mit EA 189-Motoren ausgestatteten Fahrzeuge. Diese würden zum Großteil von VW Financial Services finanziert, schreibt Dudenhöffer.