Geisenfeld
Geplatzter Traum vom zweiten Standbein

29.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:24 Uhr

Blicken sorgenvoll in die Zukunft: Ein Hermes-Depot hat Renate und Günther Dietl "nur rote Zahlen eingebracht". - Foto: Schiegl

Geisenfeld (DK) Sie wollten sich mit einem Paketdepot ein zweites Standbein aufbauen. Stattdessen stehen die Geisenfelder Transportunternehmer Renate und Günther Dietl nun mit einem Bein in der Insolvenz. Bei wem die Verantwortung dafür liegt, beschäftigt mittlerweile die Gerichte.

Seit 2005 bietet das Unternehmen DGT Kurier- und Sonderfahrten an. Noch zu Beginn dieses Jahres lief die Firma mit neun Angestellten gut. Doch dann hatten die Dietls eine folgenreiche Idee. Ein Depot des Logistikriesen Hermes sollte ihr Geschäft ergänzen – ein zweites Standbein eben. Von diesen Depots aus verteilen selbstständige Subunternehmer Sendungen an die Empfänger. Der Depotbetreiber wiederum muss die Pakete aus einer Hermes-Niederlassung holen, in diesem Fall aus Garching bei München.

"Offizieller Vertragsbeginn war der 1. August, Hermes hat uns aber schon im Mai gedrängt, mit 200 Paketen täglich zu beginnen. Wir sollten ein Jahr Zeit bekommen, alles aufzubauen", sagt Renate Dietl. Bald habe Hermes den Druck kontinuierlich erhöht. Die Geschäftsfrau ist aufgewühlt, immerhin steht ihre Existenz auf dem Spiel.

Der Hermes-Regionalleiter Mirko Schmidt entgegnet: "Wir sind auf eine gute Zusammenarbeit mit unseren Partnern angewiesen und versuchen, sie optimal vorzubereiten. Alles andere würde uns selbst schaden." Was auf DGT zukomme, habe Hermes anhand von Erfahrungswerten plausibel gemacht.

Die Dietls sagen, Hermes habe ihnen Kosten aufgebürdet, von denen nie die Rede gewesen sei. Einer der Streitpunkte ist die Menge der Pakete, die es in Garching abzuholen galt. "Hermes hatte versichert, dass ein 40-Tonner-Lkw sowie ein Kleintransporter ausreichen. Es wurde aber immer mehr, am Ende waren sogar zwei 40-Tonner zu wenig", berichtet Günther Dietl.

"Mehr Sendungen bringen mehr Umsatz", sagt der Hermes-Sprecher Martin Frommhold. Dietl hält dagegen: "Entscheidend sind die zusätzlichen Kosten. Wir mussten Fahrzeuge von anderen Aufträgen abziehen – allein deshalb haben wir monatlich zwischen 7000 und 10 000 Euro Umsatz verloren." Richtig zu kalkulieren, könne Hermes den Dietls nicht abnehmen, sagt Frommhold.

Ebenso ist laut DGT nie vereinbart worden, die Rückläufer – Pakete, die Empfänger zurücksenden – noch am selben Abend nach Garching zu fahren. "Wir mussten weitere Lastwagen einsetzen. Erst hatte es geheißen, wir können die Pakete am nächsten Morgen mitnehmen", so Günther Dietl. Zudem sei nie ausgemacht worden, dass die Geisenfelder Firma bei insgesamt 39 Paketshops in der Region Pakete abholen muss. Die bezahlte Pauschale von 160 Euro pro Tour und Tag "deckte nie unsere Kosten".

Der Vertrag zwischen DGT und Hermes gibt über die strittigen Punkte kaum Auskunft. "Für die (. . .) zu bewirkenden Leistungen stellt der Auftragnehmer in erforderlicher Anzahl Kraftfahrzeuge mit ausreichender Kapazität bereit", heißt es dort vage. "Wir haben uns auf die Vorgespräche verlassen. Das war wohl blauäugig", gibt Renate Dietl zu. Auch ob die Auslieferung "taggleich" (laut Hermes) oder "zeitnah" (laut DGT) zu geschehen habe, war immer strittig. Wer sagt nun die Wahrheit?

Den Dietls habe die Zusammenarbeit nur rote Zahlen eingebracht. Pro Monat seien an zusätzlichen Kosten gut 16 000 Euro aufgelaufen. "Verschwiegene Kosten", nennt sie Renate Dietl. Die Einnahmen schwankten von Juli bis September 2010 zwischen 47 000 und 91 000 ; pro Paket zahlt Hermes 1,43 Euro – 77,5 Prozent davon gingen an die Subunternehmer.

Bei DGT wurde der Unmut immer größer. Dazu kamen Querelen bei der Übernahme von Fahrern des vormaligen Depotbetreibers. "Hermes hat uns oft den Betrieb lahmgelegt, uns täglich mit zig Anrufen und Faxen bombardiert. Immer wieder kamen Hermes-Leute zur Kontrolle", schimpft Renate Dietl. Versuche, sich mit Hermes zu verständigen, verliefen zunächst konstruktiv. "Wir haben Vorschüsse gezahlt", sagt Regionalleiter Schmidt. Die roten Zahlen aber blieben. "Wir hörten immer wieder, dass wir über alles reden könnten", fühlt sich Renate Dietl hingehalten. Ihr Mann hat dahinter Methode ausgemacht: "Die wälzen alles ab und warten, bis einem die Luft ausgeht."

Ähnliche Erfahrungen hat Akram Schaban gemacht. Er betrieb über sechs Jahre ein Depot in Ulm. "Es kamen immer mehr Aufgaben hinzu, die nie vereinbart waren." Hermes nutze aus, wenn ein Partner verschuldet sei. Auch im Internet sind viele Klagen über Hermes zu finden. In der Logistikbranche wird offenbar mit harten Bandagen gekämpft und dieser Druck nicht selten an schwächere Vertragspartner weitergereicht.

In Geisenfeld eskalierte die Situation Mitte Oktober – und auch darüber scheiden sich die Geister. Bei Hermes spricht man von einer "fristlosen Kündigung" seitens DGT; auf Rückfrage hätten die Dietls dies bestätigt. Renate Dietl sagt, Hermes habe einen weiteren Hilferuf einfach als Kündigung interpretiert. "Plötzlich standen die Hermes-Leute vor der Tür, übergaben ein Schreiben – und hinten hat man unser Lager ausgeräumt. Zwei unserer Mitarbeiter haben sogar mitgemacht. Zudem fehlt seither einer unserer Mitarbeiterordner", ärgert sich Renate Dietl. "Wir mussten reagieren, unsere Kunden warten auf ihre Pakete", sagt Schmidt.

Auch eine Rechnung ist noch offen. "Wir bekommen noch 55 000 Euro für den Oktober. Hermes rechnet aber offenbar fiktive Beträge dagegen auf", sagt Renate Dietl. "Wenn die Forderungen berechtigt sind, werden wir fristgerecht zahlen", hält Frommhold dagegen. Die September-Überweisung habe DGT "übrigens nicht verwendet, um seine Subunternehmer zu bezahlen".

Mittlerweile hat Familie Dietl einen Anwalt eingeschaltet. "Auch mündliche Vereinbarungen sind verbindlich", sagt der Jurist Ernst Medecke. "Zudem ist ein auf unmögliche Leistungen gerichteter Vertrag nichtig." Auch dass der Vertrag von DGT gekündigt wurde, sehe er nicht. "Jetzt sucht sich Hermes den nächsten Betrieb – und macht es wieder so", prognostiziert der Anwalt. Er habe eine Schadensersatzklage über 80 000 Euro eingereicht.

Und wie geht es weiter? "Wenn wir keine Zwischenfinanzierung bekommen, gehen wir in die Insolvenz – trotz voller Bücher", sagt Renate Dietl. Wer dafür die Verantwortung trägt, müssen jetzt die Gerichte klären.