Das
Es "bimt" allerorten

06.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:23 Uhr
Das Office-Center in Ingolstadt: Ein Pilotprojekt für das digitale Bauen und Planen, das Generalplaner Franz Madl vorantreiben will. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Das Office-Center in Ingolstadt ist Referenzprojekt für das digitale Planen und Bauen: Das Gebäude wurde bis ins kleinste Detail in 3-D entwickelt. Building Information Modeling, kurz BIM, ist noch Neuland für die Baubranche.

Auf den ersten Blick wirkt dieses neue Büro- und Geschäftshaus recht unscheinbar. Das Besondere ist seine Entstehung: Das Office-Center auf dem Gelände der früheren Pionierkaserne in Ingolstadt ist ein Vorzeigeprojekt für computergestütztes Planen und Bauen. Das Büro pbb Architekten Ingenieure hat es entwickelt - total digital.

Im dritten Stock des Atriumgebäudes mit der markanten Schachbrettfassade an der Manchinger Straße hat der Generalplaner pbb seinen Sitz. Die Firma hat das halbe Güterverkehrszentrum in Ingolstadt (GVZ) sowie etliche Produktionsstätten für Audi geplant. Aber auch die gewagten Holzkonstruktionen des Metropol Parasol Sevilla in Spanien. "Zeichnen müssen wir schon lange nicht mehr: Seit 1990 planen wir schon in 3-D - soweit es die Technologie zugelassen hat", sagt Geschäftsführer Franz Madl, der auch Gründungsmitglied der Regionalgruppe Bayern von BuildingSMART ist. Auf der Homepage des Vereins wird Aufbruchstimmung verbreitet: "Es bimt allerorten!"

Es bimt? Die Zauberformel für computergestütztes Planen und Bauen besteht aus diesen drei Buchstaben: BIM. Sie stehen für Building Information Modeling. Diese Methode soll - analog zur Industrie - auch in Deutschland Standard werden. Eines der Lieblingsvorhaben von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU): Im Frühjahr hat er einen Masterplan Bauen 4.0 vorgelegt, um die Digitalisierung voranzutreiben.

Mit BIM ließen sich Dauer, Kosten und Risiken großer Bauprojekte in erheblichem Umfang reduzieren, so Dobrindt. "Unser Ziel ist es, Innovationsführer beim digitalen Bauen zu werden", erklärte der Minister im Frühjahr beim BIM-Gipfel in Berlin. "In Zukunft soll in Deutschland der klare Grundsatz gelten: Erst digital, dann real bauen." Sein Ministerium will dabei vorangehen: "Wir machen BIM bis 2020 zum Standard bei neuen Verkehrsinfrastrukturprojekten."

Der Minister hat außerdem die Initiative planen-bauen-4.0 ins Leben gerufen, der sich schon zahlreiche Unternehmen und Organisationen angeschlossen haben. Das Office-Center in Ingolstadt, ein 20-Millionen-Euro-Projekt, ist eines der Referenzprojekte - pbb hat erstmals digitales Neuland betreten. Fragt man Franz Madl, wie BIM in der Praxis funktioniert, dann lässt er erst einmal einen Witz los: "BIM - das ist der Baumeister im Mittelalter." Tatsache ist: Deutschland hinkt im Vergleich zu Dänemark oder Großbritannien ziemlich hinterher beim computergestützten Bauen.

Madl will BIM-Pionier sein: Flugs klickt er sich am PC durch eine Fülle von Animationen, Plänen und Darstellungen des Office-Centers. Es beginnt mit der Außenansicht des Gebäudes samt seines Umfelds in 3-D, die dem Betrachter jeden erdenklichen Blickwinkel eröffnet. Sodann betritt der virtuelle Besucher das Innere, wo er ins verwirrende Geflecht von Schächten, Rohren und Leitungen schaut - das Nervensystem eines Bauwerks, das sich hinter Mauern und Wänden versteckt. Alles ist bunt hier - ein Entwurfsmodell, das einem modernen Kunstwerk gleicht.

So einen detaillierten Plan zu erstellen kostet viel Zeit und Geld. "Wir kommen beim Office-Center auf ungefähr fünf Millionen Bauteile", erklärt Madl, "die meisten - etwa die Fenster oder Fassadenelemente - müssen wir selber am Computer modellieren." Da es für solche Prozesse noch keine Software gibt, beschäftigt pbb einen eigenen Administrator und zwei Programmierer. "Es hat sich vor allem gezeigt, wie schwer es ist, mit so riesigen Datenmengen umzugehen", sagt Madl. "Das ist die Herausforderung."

Der Aufwand für ein solches Planen ist also enorm, und rechnen tut sich BIM deshalb noch lange nicht. Madl betrachtet die anfallenden Kosten quasi als Forschungsausgaben. "Wir sprechen gerade davon, eine digitale Akademie zu gründen und Leute auszubilden." An Bauherren ließen sich solche Mehrkosten nicht weitergeben: "Erst wenn das digitale und vernetzte Bauen kommt, werden wir preiswerter als andere sein, wenn nicht sogar günstiger. Denn wir bieten mehr Planungssicherheit." Neben 3-D kommen durch BIM nämlich drei weitere Dimensionen zum Tragen: Zeit, Kosten und Wirtschaftlichkeit. So wird der gesamte Lebenszyklus eines Bauwerks digital abgebildet - transparent für alle am Bau Beteiligten. Das vermindert die üblichen Reibungsverluste: So soll es weniger Leerlauf für die Handwerker, dafür aber permanente Kontrolle geben.

Noch ist es Zukunftsmusik, dass nach der Projektentwicklung und Planungsphase auch die Realisierung und der Betrieb des Gebäudes digital entwickelt und überwacht werden. Das reicht bis zur späteren Sanierung. "Mit BIM simulieren wir die Nachhaltigkeit bis hin zum Abbruch", erklärt Madl. "In diesen Phasen müssen wir denken und arbeiten."

Das Office-Center,steht kurz vor der Fertigstellung. Auf der Baustelle hantieren die Handwerker noch nicht mit Tabletts, sondern wie eh und je mit Plänen auf Papier. Die digitalen Modellierungen dienen zunächst einmal zur Orientierung. Allerdings wirft BIM schon seine Schatten voraus: "Wir haben das Gebäude gescannt und so über das virtuelle Modell gelegt, denn wir mussten für die Fassadenverkleidung auf fünf Millimeter genau arbeiten. Das ist eine Toleranz, die sonst im Rohbau nicht erreicht wird", sagt Madl. "Das sind die Vorteile digitaler Bauüberwachung."

BIM hat das Potenzial, Bauen nicht nur präziser, sondern auch schneller und günstiger zu machen. Der Masterplan von Dobrindt umfasst insbesondere die Erprobung bei Verkehrsvorhaben: Das Ministerium startet 20 weitere BIM-Pilotprojekte auf Schiene, Straße und Wasserstraße und investiert dafür insgesamt 30 Millionen Euro. Dobrindt weiß: "Es gibt ein gutes Stück Aufholarbeit." In Ingolstadt ist man schon kräftig dabei.

Franz Madl ist sicher: "Ich bin überzeugt: Die 3D-Planung mit BIM wird zukünftig kein Mehraufwand mehr sein, sondern ein Gewinn für alle Projektbeteiligten."