Berlin
Banger Blick nach Bayern

Für die Bundes-FDP geht es jetzt um alles oder nichts – und die CDU spürt Rückenwind

15.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:40 Uhr

 

Berlin (DK) Ein Triumph für Horst Seehofers CSU und damit kräftiger Rückenwind für die Union bei der Bundestagswahl, Entsetzen nach dem Desaster bei den Liberalen, zwanghafter Optimismus bei den Sozialdemokraten und enttäuschte Gesichter bei den Grünen: Jubel und Katzenjammer gestern Abend nach Schließung der Wahllokale in Bayern auch in den Berliner Parteizentralen – der Urnengang im Freistaat als letzter Test, sieben Tage vor der Bundestagswahl.

Für Rot-Grün sieht es finster aus, Schwarz-Gelb kann durchaus an der Schwäche der FDP scheitern – jeder kämpft für sich allein, so die Schlussfolgerung in Berlin.

Blankes Entsetzen, Frust und enttäuschtes Kopfschütteln im Atrium der FDP-Zentrale, als sich um 18 Uhr die schlimmsten Befürchtungen der Liberalen bestätigen. Rausgeflogen sowohl aus dem Münchener Landtag als auch aus der bayerischen Staatsregierung – ein Tiefschlag für die Liberalen genau eine Woche vor der Bundestagswahl.

Lange Gesichter in der Berliner FDP-Zentrale. Die Generalprobe ist verpatzt. „Das tut weh“, sagt Lasse Becker, der Chef der Jungen Liberalen. Sie hatten hier eigentlich auf eine zünftig-bayerische Wahlparty gesetzt – mit FDP-Frauen im Dirndl, mit Bier und Brezen. Doch jetzt herrscht Stille, als bei ARD und ZDF die ersten Zahlen über den Bildschirm flimmern. Der Schock sitzt tief.

Hoch oben im Präsidiumszimmer beraten die Parteigranden über das Ergebnis. Die Sorge, dass es auch am nächsten Sonntag eine Klatsche geben und selbst der Wiedereinzug in den Bundestag in Gefahr sein könnte, macht sich breit.

Doch als Parteichef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle unten im Atrium die Bühne betreten, brandet trotziger Beifall auf: Zwei Minuten lang Stakkato-Applaus, als wollten sich die Liberalen selbst Mut machen. „Jetzt erst recht!“, ruft Rösler seinen Anhängern zu, räumt „unumwunden eine schwere Niederlage für die FDP in Bayern ein“. Das Ergebnis sei „ein Weckruf für alle Liberalen“. In Bayern würden allerdings die Uhren anders ticken. „Ab jetzt geht es um Deutschland. Ab jetzt geht es um alles“, so der FDP-Chef, kämpferisch, entschlossen, lautstark. Und auch Brüderle beschwört den Kampfgeist: „Wir geben uns alle einen Ruck: Voller Einsatz, jeden Tag, jede Stunde.“

Jetzt bleibt Rösler, Brüderle & Co. nur noch die Hoffnung, dass die geplante Zweitstimmenkampagne verfängt und noch Unionsanhänger gewonnen werden können. Vor vier Jahren gelang der FDP noch die große Überraschung bei der Bundestagswahl, nun soll sie plötzlich auf Mitleidsstimmen angewiesen sein? „Mobilisierungseffekte“ erhoffe er sich von den verbleibenden Tagen bis zur Bundestagswahl, sagt FDP-Vize Christian Lindner. Und viele Liberale hier bei der Wahlparty ahnen: Es geht jetzt für die FDP um alles oder nichts.

Im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale, bricht dagegen nach der ersten Prognose Jubel aus: Eine unangefochtene absolute Mehrheit in Bayern für Horst Seehofer und die Schwesterpartei CSU – davon erhofft sich die CDU einen kräftigen Schub auch für die Bundestagswahl. „Gemeinsam erfolgreich“, steht an der blauen Stirnwand des Adenauerhauses – das passende Motto.

Doch die Angst, dass die Liberalen nach dem Rauswurf in Bayern im Bund unberechenbar werden, im Überlebenskampf rücksichtslos um Zweitstimmen der CDU buhlen, ist spürbar. CDU-Vize Armin Laschet gibt kurz nach 18 Uhr bereits vor den Fernsehkameras die Parole aus: „Wer Angela Merkel will, muss auch Angela Merkel wählen.“ Die CDU, so die Botschaft, hat keine einzige Stimme abzugeben: „Wir werben für Zweitstimmen auch für die CDU.“ In Bayern sei die FDP traditionell schwach, im Bund werde sie es deshalb schaffen, lautet das CDU-Trostpflaster. Auch Generalsekretär Hermann Gröhe macht klar: „Die Zweitstimme ist die entscheidende Stimme. Das ist gleichsam Merkel-Stimme.“ Die FDP müsse es aus „eigener Kraft“ schaffen. Die Ansage ist eindeutig: Wir haben nichts zu verschenken.

Im Willy-Brandt-Haus präsentieren sich SPD-Chef Sigmar Gabriel und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Seite an Seite: „Keine Überheblichkeit, aber eine ganze Portion Selbstbewusstsein“, nehme die SPD mit, sagt der Kanzlerkandidat. Dem Ergebnis von wenig über 20 Prozent versucht er Positives abzugewinnen: Die SPD hat im Vergleich zur letzten Landtagswahl im Jahr 2008 mit damals nur 18,6 Prozent zugelegt. Und innerlich atmet er wohl durch, dass seine Stinkefinger-Pose auf den letzten Metern nicht negativ durchgeschlagen hat. Es gebe keine schwarz-gelbe Mehrheit und „gute Aussichten“, dass das in einer Woche im Bund genauso aussehen werde, macht Steinbrück den Genossen unter viel Applaus Mut.

Parteichef Gabriel drischt verbal auf die FDP ein, die „seit Jahren alle Wahlversprechen bricht“ und zu Recht aus dem Landtag gefallen sei. Er gibt noch einmal ein Versprechen ab, dass es auf keinen Fall zu Rot-Rot-Grün kommen werde, weder als Koalition noch als Tolerierung. Von Rot-Grün ist allerdings kaum mehr die Rede bei den Genossen. Steinbrück, Gabriel & Co. hoffen offensichtlich, sich im Bund in eine Große Koalition zu retten.

Für die Grünen sind die Zahlen aus Bayern ernüchternd, sie können sich nicht auf deutlich höherem Niveau als 2008 stabilisieren. „Wir haben uns mehr erhofft, mehr erwartet“, räumt Parteichefin Claudia Roth kurz nach 18 Uhr ein und schiebt ein trotziges „Jetzt erst recht!“ nach – ganz wie FDP-Chef Philipp Rösler.

Veggie-Day, Steuererhöhungspläne, Pädophilievorwürfe – wo die Ursachen für den Misserfolg liegen, wird analysiert. Oder ist es doch einfach so, dass die bayerischen Verhältnisse sich fundamental von denen im Bund unterscheiden? Damit machen sich gestern fast alle Parteien in Berlin Mut – auch die Linke, die den Einzug ebenso wenig wie die FDP geschafft hat.