"Sanktionen halte ich für falsch"

Ex-Staatssekretär Willy Wimmer (CDU) über die Krim-Krise und die Rolle der USA

28.03.2014 | Stand 02.12.2020, 22:53 Uhr

Ingolstadt (DK) Putin ist an allem Schuld? Von wegen, sagt Willy Wimmer (CDU). Die USA wollen ihre Macht ausdehnen und könnten Europa einen Krieg bescheren, sagt der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verteidigung (1988 bis 1992). Der 71-Jährige ist außerdem ehemaliger Vizepräsident der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

 

Herr Wimmer, Sie halten die Sanktionen gegen Russland für falsch. Warum?

Willy Wimmer: Die westlichen Staaten inklusive Deutschland haben die frei gewählte Regierung Janukowitsch mit gestürzt. Als die Ereignisse auf dem Maidanplatz in Kiew aus dem Ruder zu laufen drohten, haben die Russen uns davor bewahrt, dass die gesamte Ukraine in Flammen aufgeht. Denn der harte Kern, die rechten Kräfte, drohten auszuschwärmen. Beleg ist auch die Ankündigung des Sprachengesetzes durch die neuen ukrainischen Machthaber – das Gesetz richtet sich klar gegen die Russen in der Ukraine. Deshalb halte ich Sanktionen für falsch. Sie sind ein Mittel, das sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen könnte.

 

Stichwort territoriale Integrität: Widerspricht die Grenzverschiebung nicht dem Völkerrecht, wie die EU und die USA kritisieren?

Wimmer: Auf der Krim ist die russische Schwarzmeerflotte unter anderem mit ihren Nuklearwaffen stationiert. Wenn Gewalt dort eskaliert wäre, hätten wir längst einen Konflikt in ganz Europa. Insofern ist es nachvollziehbar, dass Russland das Referendum des Regionalparlaments angenommen hat. Man hat in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker unter bestimmten Umständen geachtet werden muss. Das hat auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag durch ein Urteil beim Kosovo bestätigt. Für mich sind diese Umstände auf der Krim gegeben. Die Krim wurde nicht annektiert – das ist ein Sprachgebrauch der Nato. Die Krim wollte zu Russland.

 

Als was würden Sie es dann bezeichnen?

Wimmer: Als die Aufnahme in einen anderen Staat aufgrund des ausgeübten Selbstbestimmungsrechts der Krim-Bevölkerung.

 

Haben Sie keine Angst, dass Putin sich nun den Rest der Ukraine einverleibt?

Wimmer: Mir wäre es lieber, wenn wir die USA nicht ständig in die Lage versetzen würden, zu tun, was sie wollen. Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien sehen wir, dass die Vereinigten Staaten alles getan haben, um die russische Föderation aus Syrien heraus zu Fall zu bringen. Die Krim ist dabei von zentraler Bedeutung: Man kann den russischen Marinestützpunkt in Syrien nicht betreiben, wenn man auf der Krim nicht die Schwarzmeerflotte stationiert hat. Die Amerikaner haben ein strategisches Interesse daran, die Krim unter ihre Kontrolle zu bekommen. Wir wissen seit 15 Jahren: Die Amerikaner sind darauf aus, die russischen Erdöl- und Erdgasbestände zu kontrollieren.

 

Welche Beweise haben Sie dafür?

Wimmer: Im Mai 2000 wurde ich zu einer Konferenz in Bratislava eingeladen, die von der Spitze des amerikanischen Außenministeriums ausgerichtet wurde. Dort stellten die USA ihre Pläne vor – statt mit den anderen Ministern und Staatspräsidenten darüber zu diskutieren. Die Amerikaner wollten von Riga an der Ostsee quer durch die Ukraine über Odessa bis in das türkische Diyarbakir eine Linie ziehen. Die Argumentation der USA war folgende: Alles, was westlich dieser Linie ist, ist unser Gebiet und wird amerikanisch dominiert – also unmittelbar vor Russland.

 

Warum wollten sie das tun?

Wimmer: Die USA wollen ihre Macht ausdehnen. Sie haben bereits zweimal Krieg geführt, um die Gegenküste nicht zu verlieren. Offenbar denken die Amerikaner, wenn die Staaten auf dem Kontinent, also etwa Deutschland, Polen, Russland und China, zu eng zusammenarbeiten, dann schwindet amerikanischer Einfluss. Aus der europäischen Geschichte bei Napoleon angefangen weiß man allerdings: Wenn man in Europa zu Konfrontation übergeht, ist der Krieg in Reichweite.

 

Am Freitag forderte der ukrainische Ex-Präsident Janukowitsch Referenden in allen ukrainischen Regionen. Eine gute Idee?

Wimmer: Mit Verlaub: Er hätte dafür schon ein paar Jahre Zeit gehabt. Allerdings ist die jetzige staatsrechtliche Situation der Ukraine geeignet, das Land in viele Einzelteile zu zersplittern. Das ist ein zentralistischer Staat, der überhaupt nicht berücksichtigt, dass die Ukraine ein kompliziertes Gebilde ist. Das wäre so, als würden in Deutschland die Rheinländer alleine entscheiden – das würden die Bayern sich nicht gefallen lassen.

 

Was wäre die Lösung?

Wimmer: Eine föderale Struktur wäre für die Ukraine gut. Natürlich sollte sie als einheitliches Land erhalten bleiben. Wenn es aber weiter so zentralistisch geführt wird, wird sich der Osten vom Westen bevormundet fühlen. Das Geld wird derzeit von den Ostukrainern erwirtschaftet und von den Westukrainern ausgegeben. Solange die Machthaber dieses Problem nicht lösen, ist die Ukraine ein Fass ohne Boden, in das wir deutsches Geld nicht stecken sollten.

 

Das Gespräch führte

Desirée Brenner.