Berlin
Maximale Kampfansage

Andrea Nahles übernimmt SPD-Fraktionsvorsitz Doch der Neustart nach dem Wahldebakel ist holprig

27.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:26 Uhr

Berlin (DK) Andrea Nahles fackelt nicht lange. Soeben ist die scheidende Bundesarbeitsministerin mit knapp 91 Prozent der Stimmen zur neuen Fraktionschefin der SPD im Bundestag gewählt worden, ein starkes Ergebnis. Wie sie auf ihre letzte Kabinettssitzung mit den Unionskollegen wenige Stunden zuvor zurückblicke, wird sie vor dem Fraktionssaal gefragt. "Ein bisschen wehmütig", sagt Nahles und schiebt hinterher: "Ab morgen kriegen sie in die Fresse!"

Maximale Kampfansage der neuen Oppositionsführerin an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Union: Mit voller Wucht will Nahles den Schalter umlegen, die 20,5-Prozent-SPD aus der Depression holen und als bissigem Regierungsgegner wieder Kraft und Selbstvertrauen geben.

Keinen Zweifel lässt die 47-Jährige aufkommen: Sie sieht sich als neue starke Frau der SPD - neben Martin Schulz - und traut sich die schwierige Aufgabe zu. "Wir gehen nicht in die Opposition, um dort zu bleiben", nimmt sie schon die nächste Bundestagswahl ins Visier. Mit welchem Kurs? Wird Andrea Nahles, einst Sprecherin des linken Flügels, die Fraktion nach links führen, womöglich den Schulterschluss mit der Linkspartei suchen? Die Politikerin, die der frühere SPD-Chef und spätere Linkspartei-Gründer Oskar Lafontaine in den 90er-Jahren als "Gottesgeschenk" für die Sozialdemokraten gefeiert hatte, winkt ab. Schon als Generalsekretärin sei sie zur "Generalistin" geworden, wolle nun als Fraktionschefin alle Lager zusammenführen und auch nicht mit der Linkspartei paktieren. Der unterstellt sie gar, mit der AfD gemeinsame Sache machen zu wollen. "Wir legen den Fokus auf die Regierung", benennt Nahles ihren zentralen Gegner, warnt davor, sich von der AfD und deren Provokationen von der eigentlichen Aufgabe ablenken zu lassen.

Abgrenzung von der Linkspartei, Druck machen auf die Union - ein Profil ist dahinter noch nicht zu erkennen, abgesehen von der Absage an einen Linksruck. Um die Sorgen derjenigen will sie sich kümmern, die sich abgehängt fühlen, die Nation will die SPD als Thema wichtiger nehmen und sich für die Menschen einsetzen, die sich im ländlichen Raum durch den Rückzug staatlicher Institutionen allein gelassen fühlen. Auch die innere Sicherheit sieht Nahles als wichtiges Thema. Es ist der Versuch, auf das Abschneiden der AfD zu reagieren.

Martin Schulz hält sich auffallend zurück, als sich die Türen des Otto-Wels-Saales auf der Fraktionsebene im Reichstag öffnen und die Abgeordneten nach der konstituierenden Sitzung hinausströmen. Warme Dankesworte hatte er in der Sitzung an Thomas Oppermann gerichtet, der die Fraktionsspitze für Nahles geräumt hatte. Denn Schulz steht mächtig unter Druck. Ob er der Richtige ist, um die SPD gemeinsam mit Nahles neu aufzustellen und das historische Wahldebakel gründlich aufzuarbeiten, daran gibt es Zweifel in der Partei. Noch hat Schulz eine Schonfrist, zumindest bis zur Niedersachsenwahl am 15. Oktober. Verliert die SPD auch in Hannover krachend, dürfte es mit der Zurückhaltung der gefrusteten Genossen schnell vorbei sein. "Was hätten wir im Moment gewonnen, wenn wir jetzt die komplette Führungsriege auswechseln? Nichts!", gibt ein alter Strippenzieher zu bedenken. Aber gilt das über den Parteitag im Dezember hinaus? Sein Polter-Auftritt in der sogenannten Elefantenrunde am Wahlabend wird noch hingenommen, aber seine Ansage vom Montagabend, die SPD werde ihr Ergebnis bis 2021 "mindestens verdoppeln", lassen in der Partei erste Befürchtungen aufkommen, Schulz leide an Realitätsverweigerung.

Vom Griff nach dem Fraktionssitz musste ihm abgeraten werden, um eine Blamage zu vermeiden. Und dann scheiterte er noch mit dem Versuch, seinen verdienten Generalsekretär Hubertus Heil als Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion zu installieren. Der konservative Seeheimer Kreis schlug kräftig mit den Flügeln und brachte seinen Kandidaten Carsten Schneider durch. Schulz entgleitet die Kontrolle. "Schön ist das nicht", sagt einer seiner Leute. "Martin Schulz ist noch immer ein Hoffnungsträger", gibt Hubertus Heil den tapferen Schulz-Verteidiger. Aber Heil selbst wird nach dem Parteitag im Dezember seinen Posten als Generalsekretär räumen. Spätestens dann könnten Rufe nach einem personellen Neuanfang an der Parteispitze laut werden.