Berlin
Das Projekt Vertrauen ist gescheitert

Katholische Kirche überwirft sich bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mit Forscher Pfeiffer

09.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:38 Uhr

Berlin (DK) Der Anspruch war hoch. Man wolle der Wahrheit auf die Spur kommen, die womöglich „noch unentdeckt in den Akten vergangener Jahrzehnte“ liege, hieß es im Sommer 2011 von der Deutschen Bischofskonferenz. Es war die Reaktion auf den Skandal um sexuellen Missbrauch durch katholische Priester, der nach den ersten Enthüllungen im Berliner Canisius-Kolleg immer weitere Kreise gezogen und die Kirche schwer erschüttert hatte.

Deutschlands Bischöfe wollten wieder in die Offensive und mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Vorgänge verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen – doch nun ist das Projekt erst einmal gescheitert. Hintergrund sind Streitigkeiten mit Professor Christian Pfeiffer, dem Chef des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, das den Forschungsauftrag übernommen hatte.

Es ist ein beispielloser Eklat: Pfeiffer spricht von „Zensur“ und Aktenvernichtung in einigen Bistümern. Der Kriminologe will nun auf eigene Faust weiterforschen. Die Bischofskonferenz sieht das Vertrauensverhältnis zu ihm irreparabel beschädigt. Galt das Forschungsprojekt zu Beginn noch als Musterbeispiel für unabhängige und vorbehaltlose Aufklärung, gerät die katholische Kirche nun unter Zugzwang. Sie kündigte jetzt den Vertrag mit dem Forschungsinstitut.

Die Bundesregierung pocht auf eine unabhängige Untersuchung. „Der Vorwurf, Zensur und Kontrollwünsche behinderten eine unabhängige Aufarbeitung, sollte durch den Vorsitzenden der Bischofskonferenz schnell aus der Welt geschafft werden“, forderte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gestern. „Es ist ein notwendiger und überfälliger Schritt, dass sich die katholische Kirche öffnet und erstmals kirchenfremden Fachleuten Zugang zu den Kirchenarchiven ermöglicht.“ Die dramatischen Erschütterungen des Jahres 2010 dürften nicht „in einer halbherzigen Aufarbeitung“ versickern.

Forscher Pfeiffer und die Bischöfe kämpfen nach dem Zerwürfnis um die Deutungshoheit und sparen dabei nicht mit gegenseitigen Vorwürfen. Tatsächlich war die Teilöffnung der Personalakten der Bistümer zu Forschungszwecken kirchenintern von Anfang an auf erheblichen Widerstand gestoßen. Insbesondere das konservative „Netzwerk Katholischer Priester“ machte gegen diesen Schritt mobil. Die Bistümer München und Freising sowie Regensburg hatten sich sogar aus dem wissenschaftlichen Beirat des Projekts zurückgezogen.

Auslöser des Streits war offenbar ein von kirchlicher Seite vorgelegter Vertragsentwurf für das Forschungsprojekt, wonach eine Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse nur im Einvernehmen mit der Kirche möglich sein sollte. Auch bei der Auswahl der Forschungsmitarbeiter wollten die Bistümer ein Mitspracherecht haben.

In diesem Zusammenhang spricht Pfeiffer von „Zensur“. Aus Kirchenkreisen verlautete gestern, dass es weitere, erheblich abgeschwächte Vertragsentwürfe gegeben habe und damit durchaus Möglichkeiten für eine Einigung. „Wir schränken die wissenschaftliche Freiheit nicht ein“, erklärte Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion.

Der Vorwurf der Aktenvernichtung wird in Kirchenkreisen ebenfalls energisch zurückgewiesen. Personenbezogene Angaben müssten nach staatlichem wie nach kirchlichem Recht nach bestimmten Fristen gelöscht werden. Bei Strafverfahren wegen Sittlichkeitsfragen sehe das Kirchenrecht sogar die dauerhafte Aufbewahrung der Akten vor: „Insofern lassen sich keine Straftaten vertuschen oder Fallzahlen manipulieren.“ Die Bischofskonferenz will das Forschungsprojekt fortsetzen und setzt auf eine schnelle Einigung mit einem neuen Vertragspartner, um so den Eindruck halbherziger Aufklärung zu entkräften.