Barcelona
Spanien und sein schwieriges Verhältnis zu Patriotismus und Nationalismus

10.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:22 Uhr

Barcelona (AFP) Die Katalonien-Krise ist für José Luis Sosa das Geschäft seines Lebens. Sosa fertigt in der Nähe von Madrid Fahnen - rot-gelb-rote spanische Flaggen. "Wir haben in einem Monat dreimal so viele verkauft wie sonst in einem Jahr", sagte der Unternehmer in einem Radio-Interview. Normalerweise ist die Nationalflagge in Spanien lediglich ein Utensil von Fußballfans. Doch seit der Streit um die Unabhängigkeit der nordöstlichen Region entbrannt ist, schwenken Hunderttausende die Fahne als Symbol für die Einheit des Landes.

Nach dem Ende der rechten Diktatur von Francisco Franco 1975 war Nationalismus in Spanien lange überaus verpönt. Die drohende Loslösung Kataloniens hat nun aber bei vielen Spaniern eine Rückbesinnung auf das Nationale und seine Symbole angestoßen. Auch Rocio Villanueva trägt jetzt rot-gelb-rot am Gürtel. Angesichts der Krise um Katalonien "schämen wir uns nicht länger dafür", sagt die 30 Jahre alte Frau aus Madrid. Auch der 74-jährige Fernando Gomez will ein rot-gelb-rotes Zeichen gegen die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter setzen: "Sie wollen Spanien auseinanderbrechen, deshalb schließen wir uns zusammen, um dies zu verteidigen."

Ivan Espinosa kämpft jetzt ebenfalls für die Einheit Spaniens. Er ist der Sprecher der "Stiftung zur Verteidigung der Spanischen Nation", die zu der Großdemonstration am Wochenende in Madrid aufgerufen hatte. "Die Katalonien-Frage hat Ideen und Gedanken wieder hervorgebracht, die in Spanien in Vergessenheit geraten waren", so Espinosa. Nationalismus sei nach dem Ende der Franco-Diktatur kein Thema gewesen. "Die Linke in Spanien hatte seit dem Bürgerkrieg kaum patriotische Gefühle, und die Rechte hatte Angst, dass Patriotismus mit den Jahren der Unterdrückung in Verbindung gebracht werde", erklärt Espinosa weiter. Aber die Menschen, die nun gegen die Abspaltung Kataloniens demonstrieren, seien im Gegensatz zu den Separatisten in Barcelona keine Nationalisten, sondern Patrioten.

Was bedeutet es, spanisch zu sein? Was ist Patriotismus, was Nationalismus? Über diese Fragen wird in Spanien wieder diskutiert - auf der Straße und in den meisten Medien. "Immer, wenn wir die Flagge hervorholen, werden wir als Faschisten beschimpft", empört sich Susana Cerezal, eine katalanische Sozialistin. Den konservativen spanischen Regierungschef Mariano Rajoy beunruhigt der Anblick Tausender rot-gelb-roter Flaggen jedenfalls nicht. "Die Menschen haben doch das Recht zu sagen: ,Ich bin stolz, ein Spanier zu sein, ich bin stolz auf die Verfassung'", sagte er.

Und auch der Katalane und Ex-Minister der Konservativen, Josep Piqué, lobt in einer Kolumne die "enorme Bedeutung des spanischen Patriotismus" als Gegengewicht zum katalanischen Nationalismus. Der Historiker Carlos Gil Andrés weist diese Einschätzung zurück. Die spanischen Nationalisten dächten, "dass der katalanische Nationalismus schlecht" sei, sagt Andrés.