Macron reicht die Hand

Kommentar

22.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:54 Uhr

Zupacken kann er, der französische Präsident. Diese Erfahrung hat schon US-Kollege Donald Trump machen müssen, der ziemlich verdutzt schaute, als Emmanuel Macron seine Pranke umfasste. Nun streckt der Franzose der Bundeskanzlerin die Hand entgegen.

Doch Angela Merkel scheint das Tempo, das der Mann aus dem Élysée-Palast an den Tag legt, unheimlich zu sein. Zumindest äußerte sie sich zu Macrons EU-Reformideen bislang recht vage: grundsätzliche Zustimmung zu dessen Forderung nach einer Stärkung Europas, Skepsis, was etwa ein Budget für die Euro-Gruppe angeht, oder eine demokratisch legitimierte europäische Regierung.

Es handelt sich um weitreichende Schritte, die gut überlegt sein wollen. Die Forderungen aus Frankreich sind radikal. Dennoch ist es eine große Chance, dass Merkel nun einen Partner an der Seine hat, der nicht nur ein glühender Verfechter der europäischen Idee ist, sondern der seine Vision auch mit Deutschland zusammen vorantreiben will. Der sich Helmut Kohl und FranÃ.ois Mitterand zum Vorbild nimmt. Das klingt doch gut. Dennoch ist die Kanzlerin gut beraten, zunächst ihren zögerlichen und beinahe schon legendären Merkel-Kurs beizubehalten und abzuwarten, wie viel Substanz der Franzose zu bieten hat. Sein Kabinett jedenfalls ist mit lauter Unbekannten besetzt, die für das politische Berlin nur schwer einzuschätzen sind.

Die große Herausforderung wird sein, eine gemeinsame Idee von einem Europa der Zukunft zu entwickeln und für dieses nicht nur die anderen EU-Länder zu begeistern, sondern auch die Bürger. Die Deutschen jedenfalls werden sich nicht für eine Union erwärmen lassen, in der andere Nationen ihre Bevölkerungen beglücken, während die Bundesrepublik dafür bezahlt.

Macrons Kritik an osteuropäischen Rosinenpickern war wohltuend. Er befeuert eine wichtige Debatte. Schon Kohl und Mitterand wussten: Nur wenn sich Deutschland und Frankreich einig sind, wird Europa vorankommen. Darum wird Merkel oder ein eventueller Nachfolger letztlich Macrons Hand beherzt ergreifen. Ergreifen müssen.