Ingolstadt
Richtung Abgrund - ein DK-Kommentar zu den Absprachen unter den Autoherstellern

Von Carsten Rost

21.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:45 Uhr

Was schon Wurstfabrikanten, Brauer, Schienenschmiede oder Zementhersteller geschafft haben, sollte doch auch unseren Autoherstellern gelingen: Absprachen etwa über Preise, Verkaufsgebiete und Absatzquoten – mithin also massive Wettbewerbsverstöße.

Wenn sich denn der vom „Spiegel“ publizierte Kartellverdacht bewahrheiten sollte, steht der einstigen deutschen Vorzeigebranche nach dem Abgas-Skandal eine noch weitaus größere Affäre ins Haus. Eine Affäre mit erheblicher Sprengkraft – möglicherweise auch für die Politik.

Dass unter den Autoherstellern – wie in anderen Branchen auch – gerne einmal gekungelt wird, ist kein Geheimnis. Man kennt sich in der Branche, wechselt auch immer wieder einmal den Arbeitgeber – vom Stern zu den vier Ringen, vom Propeller zum Hirschen. Da fließen auch Informationen zwischen den Konzerngrenzen hin und her. Was das Hamburger Nachrichtenmagazin jedoch aufgedeckt haben will, hätte eine völlig andere Dimension: Mehr als ein Jahrzehnt andauernde Absprachen über sämtliche Details der Autoentwicklung, mithin auch über Themen der Abgas-Reinigung, das würde nichts anderes als den massiven und bewussten Betrug an Zulieferern und vor allem unzähligen Kunden in aller Welt bedeuten.

Damit ergießt sich möglicherweise ein ganzer Sturzbach auf die Mühlen der Verbraucheranwälte, die wegen der Abgas-Affäre mit Schadensersatzforderungen vor allem gegen den VW-Konzern mobil gemacht haben. Zudem geraten nun auch Hersteller ins Zwielicht, die bislang von den Turbulenzen um die Schummel-Diesel weitgehend verschont geblieben waren. Weiße Westen, so scheint es, gibt es in der deutschen Autobranche nicht.

Als besonders brisant in dem Zusammenhang könnte sich eine angeblich von den Ermittlungsbehörden bei den US-Anwälten von Jones Day aufgegabelte Fundsache aus dem Audi-Archiv namens „Clean Diesel Strategie“ erweisen. Die verweist nämlich laut „Handelsblatt“ auf ein „Commitment der deutschen Autohersteller auf Vorstandsebene“ hinsichtlich kleinerer AdBlue-Tanks für Harnstofflösungen zur Abgas-Reinigung – die Betonung liegt auf dem Begriff „Vorstandsebene“. Möglicherweise bricht hier gerade die Argumentationslinie von VW und Audi zusammen, wonach nur eine kleine Anzahl von subalternen Managern um die „Diesel-Thematik“ wusste – und keinesfalls Vorstandsmitglieder.

Wenn dem tatsächlich so wäre, bräche nicht nur über den VW-Konzern ein Tsunami an milliardenschweren Schadensersatzforderungen nicht nur von Kunden, sondern auch von Aktienanlegern herein. Die Folgen wollen wir uns gar nicht ausmalen. Aber es hat den Anschein, als habe die wichtigste deutsche Industriebranche in den zurückliegenden Jahren damit begonnen, sich selbst in den Abgrund zu treiben.