Berlin
Sie streiten wieder

Kurz vor dem Koalitionsgipfel kritisiert die CSU erneut Merkels Flüchtlingspolitik

06.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:59 Uhr

Berlin (DK) Neuer Streit in der Union: Unmittelbar vor dem Vieraugengespräch von Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer und dem Koalitionsgipfel mit SPD-Chef Sigmar Gabriel gestern Abend im Berliner Kanzleramt griff die CSU-Spitze Innenminister Thomas de Maizière (CDU) an, kritisierte dessen Äußerungen zu einem möglichen Ende der Kontrollen an der österreichischen Grenze.

Bayerns Ministerpräsident Seehofer beklagte, weder an der Entscheidung beteiligt noch darüber informiert worden zu sein. "Das ist ein selbstherrlicher Regierungsstil", warf er dem CDU-Minister vor. Dieser richte sich zunehmend gegen Bayern. Ein Ende der Grenzkontrollen sei unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten falsch, sagte der CSU-Chef. De Maizière hatte am Dienstagabend angekündigt, die Kontrollen an der Grenze zur Alpenrepublik zu reduzieren und Mitte Mai womöglich ganz einzustellen.

Beifall von der Opposition, Empörung bei der Schwesterpartei CSU: Auch de Maizières Kabinettskollege Agrarminister Christian Schmidt (CSU) lehnt ein Ende der Grenzkontrollen ab. "Ich finde, die Grenze zu Österreich sollte auch nach dem 12. Mai weiter kontrolliert werden", sagte er im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. "Eine vollständige Aufhebung der Kontrollen wäre das falsche Signal. Das ist in nächster Zeit auch nicht realistisch", erklärte der CSU-Politiker.

Während CSU-Chef Seehofer die Forderung seiner Partei nach einem Richtungswechsel in der Flüchtlingspolitik bekräftigte, lehnt Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) dies strikt ab. "Angela Merkel und ich werden unsere Flüchtlingspolitik nicht ändern", sagte der Merkel-Vertraute Kauder. Dagegen befürchtet Seehofer einen Absturz der Unionsparteien in den Meinungsumfragen und bei künftigen Wahlen: "Wenn wir unsere Politik nicht ändern in Berlin, dann werden wir unter 30 Prozent rutschen", warnte er.

Erneut ein offener Schlagabtausch zwischen CDU und CSU - der Ton wird wieder schärfer. Auch nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen geht die Auseinandersetzung weiter. Die Ursache für die deutlich niedrigeren Flüchtlingszahlen sei nicht Merkels Politik, sondern die Schließung der Balkanroute, so Seehofer. Bayerns Ministerpräsident droht auch weiterhin mit einer Klage gegen die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht. Ein Brandbrief seiner Landesregierung an die Kanzlerin ist seit Wochen noch immer unbeantwortet. Dies werde "zu gegebener Zeit" geschehen, erklärte gestern Regierungssprecher Steffen Seibert. Der Flüchtlingsstreit stand am Abend auch auf der Tagesordnung des Koalitionsgipfels in Berlin.

Die SPD fordert ein Ende der Auseinandersetzungen: "Die Union muss ihren monatelangen Streit um die Flüchtlingskrise jetzt beenden", erklärte gestern SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Seit Monaten herrsche in der Innenpolitik Stillstand. "Die Blockadepolitik der CSU gegen fertig ausverhandelte Gesetzentwürfe zur Erbschaftssteuer und zur Leiharbeit muss beendet werden. So kann es in dieser Koalition nicht weitergehen", sagte Oppermann. Das Land müsse in den nächsten anderthalb Jahren gut regiert werden. Die SPD sei dazu bereit. Koalitionsvereinbarungen könnten "nicht beliebig von Horst Seehofer zur Disposition gestellt werden", so Oppermann.

Am Abend wollten die drei Parteichefs von CDU, CSU und SPD im Kanzleramt weitere Streitpunkte ausräumen und über die weitere Agenda der schwarz-roten Koalition beraten. Die CSU pocht auf Korrekturen bei der geplanten Erbschaftsteuerreform, lehnt die Pläne von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zu Leiharbeit und Werkverträgen ab. Streit gibt es auch über die von der SPD geforderte Lebensleistungsrente. Während SPD und CSU auf eine Kaufprämie für Elektroautos drängen, lehnt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dies weiter ab. Und auch bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gibt es Klärungsbedarf. Mit Ergebnissen rechneten beide Seiten erst beim großen Koalitionsgipfel in der kommenden Woche.