Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen: Wenn nur noch Angst herrscht

Heute ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen – wir haben vier Fälle dokumentiert

24.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:07 Uhr

Gewalt gegen Frauen geht in vielen Fällen nicht von Unbekannten, sondern vom eigenen Partner aus. Viele Betroffene schweigen.

Stefan und Stefanie (alle Namen geändert) haben sich vor 18 Jahren kennengelernt. Inzwischen sind sie Eltern zweier halbwüchsiger Töchter; im Beruf läuft es für Stefan gut, das Ehepaar könnte zufrieden sein. Wenn nicht das eingetroffen wäre, woran so viele Beziehungen kranken.

Der Alltag hat längst seinen Tribut gefordert. Stefan zieht sich zurück, gibt seiner Frau keine Nähe mehr, vergräbt sich in der Arbeit. Die Kinder zehren an den Kräften, die Mutter ist überfordert, der Vater oft nicht daheim. Sie fühlt sich allein gelassen. Es gibt immer öfter Streit. „Wenn das so weiter geht, habe ich Angst, dass wir irgendwann mal körperlich aufeinander losgehen“, räumt Stefan ein. Bisher haben sie sich nur mit Worten verletzt. Der Druck hat sie dazu bewogen, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung aufzusuchen.

2 Diesen Schritt hat Klaudia (38) ebenfalls versucht. Doch ihr Mann Werner verweigerte sich nach zwei Gesprächsterminen. Als die Mutter dreier Kinder schließlich im Frauenhaus der Caritas um Hilfe bittet, hat es schon mehrere Tätlichkeiten gegeben. Auch sexuell kommt es zu Übergriffen. Begonnen hatte es ganz subtil, kleine Bemerkungen, die wie Nadelstiche waren und am Selbstwertgefühl der 38-Jährigen nagen. Sie erzählt, dass Werner sie ständig herabsetzt. Er habe sie außerdem permanent kontrolliert und abends die zwei Töchter und den Sohn ausgefragt, was die Mutter denn den ganzen Tag so gemacht habe. Finanziell hält er Klaudia trotz eines guten Einkommens so kurz, dass sie manchmal nicht mehr weiter weiß. In ihrer Not nimmt sie eine Putzstelle an. Doch ihr Mann drangsaliert sie per Telefon so lange an ihrem Arbeitsplatz, bis sie deswegen entlassen wird.

Als sie den Psychoterror nicht mehr aushält, nimmt sie allen Mut zusammen und zieht ins Frauenhaus. Die Töchter gehen mit, der 14-jährige Sohn bleibt beim Vater. Heftige Schuldgefühle plagen Klaudia, weil sie erkennt, wie Werner den Buben systematisch instrumentalisiert: Er bekommt grenzenlose Freiheiten, vernachlässigt seine Hausaufgaben und fällt in der Schule ab. Trotz der für sie belastenden Situation zieht die 38-Jährige die Trennung durch, verschiedene Beratungsstellen helfen ihr. Am Ende lebt sie ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben. Auch die Annäherung an den Sohn gelingt ihr wieder.

3 Schon in jungen Jahren muss Anja (14) erleben, was Gewalt gegen Frauen bedeutet. Helmut, der Lebensgefährte ihrer Mutter, stellt ihr sexuell nach. Erst nur ganz verhalten, so als würden die Berührungen an Brust und Unterleib zufällig passieren, wenn die beiden zum Schwimmen gehen und im Wasser herumalbern. Doch bald wird ihr klar: Es steckt Absicht dahinter, Helmut wird immer fordernder. Er habe sich in sie verliebt, sie solle aber nichts der Mama erzählen, sagt er. Sie lässt seine Übergriffe eine Zeit lang zu, ängstlich und unsicher, wie sie mit der Situation umgehen soll. Wie viele Opfer, sucht sie die Schuld bei sich selbst. Hat sie den Freund der Mutter unwissentlich angemacht und ihn dadurch ermuntert? Am Ende, als Anja nicht mehr weiter weiß, offenbart sie sich ihrer Tante. Gemeinsam gehen sie zu Wirbelwind, einer Beratungsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Die Schülerin ist froh, den Stiefvater mit fachkundiger Hilfe endlich in die Schranken weisen zu können.

4 Knapp zehn Jahre dauert das Martyrium für Fatmire. Die 40-jährige Migrantin hat daheim nichts zu lachen. Wie viele Frauen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, fühlt sie sich ihrem Mann Agon völlig ausgeliefert. Beleidigungen, Demütigungen und Prügel bestimmen ihr Familienleben. „Ich schlag dir den Kopf ab“, droht ihr Mann, wenn die Wut ihn wieder mal packt. Die 40-Jährige hält sich für den Auslöser solcher Ausraster. Dass die Schuld bei ihrem Ehemann liegen könnte, darauf kommt sie nicht. Als Agon wieder einmal durchdreht und Fatmire nach einem Streit im Auto würgt und beinahe umbringt, werden Passanten aufmerksam und rufen die Polizei. Jetzt sitzt Agon in Untersuchungshaft, er wird für Jahre hinter Gittern bleiben. Für Fatmire eine Chance, sich endlich ganz zu lösen.