Ingolstadt
Der will doch nur helfen

30.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:21 Uhr

Arbeiten Hand in Hand: Der Roboter reicht dem Audi-Mitarbeiter einen Kühlmittelausgleichsbehälter aus der Materialkiste. Der Mensch muss sich nicht bücken. - Foto: Audi

Ingolstadt (DK) Peter Mosch sagt immer „Robbi“. Mit dieser Verniedlichung will der Audi-Betriebsratschef wohl andeuten, dass der Roboter des Menschen Freund ist. Nicht sein Feind, der ihm womöglich eines Tages den gut bezahlten Arbeitsplatz kostet.

Mehr als 41 000 Menschen arbeiten aktuell bei Audi in Ingolstadt. Fragt man den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden, wie viele davon in 20 Jahren übrig sind, so kommt es wie aus der Pistole geschossen: „Alle. Aber es kann passieren, dass die Menschen andere Aufgaben als bisher übernehmen.“ Mosch sieht viele Menschen, die mit Robotern zusammenarbeiten. „Industrie 4.0 muss das Arbeitsleben erleichtern und die Beschäftigung flexibler gestalten“, erklärt er mit Blick auf den demografischen Wandel und die dadurch bedingte Notwendigkeit, auch ältere Mitarbeiter, die nicht mehr so fit sind, in der Produktion einzusetzen. Alles, was anstrengend ist oder auf die Bandscheiben geht, kann „Robbi“ erledigen.

Die Belegschaft sieht der Betriebsratschef ungeachtet dessen auch in Zukunft weiter wachsen. Selbst wenn der Roboter nur drei Euro pro Stunde kostet und der Mensch 30 bis 50 Euro, wie VW-Personalvorstand Horst Neumann erst neulich vorrechnete. Peter Mosch bringen solche Vergleiche nicht aus der Ruhe: „Diesen Druck kennen wir ja schon seit Jahren: Rationalisierung ist wichtig für den Wettbewerb, aber sie darf nicht die berufliche Existenz des Menschen bedrohen.“ Schließlich hat der Mitarbeiter aus Fleisch und Blut ja auch seine Qualitäten. „Die Erfahrung und Kreativität des Menschen werden nicht von Robotern ersetzt werden können“, betont Mosch und wiederholt, was er auch schon der Belegschaft versichert hat: „Der Mensch muss weiterhin die Maschine steuern. Die Maschine darf nicht den Menschen steuern.“

Das klappt aber nur, wenn der Mensch immer fleißig dazulernt. Bildung und Weiterbildung spielen eine zentrale Rolle. „Den klassischen Industriearbeiter wird es nach wie vor geben, aber seine Informatikkenntnisse werden noch mehr im Vordergrund stehen“, sagt Mosch. Neue Berufe entstehen: So sollen ab September 2015 erstmals sechs bis zehn junge Leute bei Audi den Beruf des Informatikers mit Fachrichtung Systemintegration erlernen.

In Betriebsratskreisen spricht man von Evolution statt Revolution. „Es gibt ja schon lange Roboter in der Produktion. Die Kollegen wachsen da ’rein. Wenn der Mensch diese Veränderungen mitgestaltet und erlebt, dann ist das Verständnis schnell geschaffen.“ Berührungsängste sind Mosch nicht bekannt von der Schnittstelle Mensch-Maschine. „Die Kollegen, die seit Januar mit Part4you arbeiten, sind zufrieden.“ So heißt der Roboter, der einen Kühlmittelausgleichsbehälter aus einer tiefen Materialbox holt und dem Mitarbeiter reicht.

Kühlmittelausgleichsbehälter – ein Wort, das Henning Löser ein kleines Schmunzeln entlockt. Der Physiker ist bei Audi Koordinator der Smart Factory – der intelligenten Fabrik: „Part4you“ (übersetzt: Produktionsassistent reicht Teil) ist der erste Roboter seiner Art, der unmittelbar, also Hand in Hand, mit einem Menschen zusammenarbeitet. Darum nennen sie ihn bei Audi auch „Adam“. Löser ist richtig stolz: „Es gibt bisher nur zwei solcher von der Berufsgenossenschaft freigegebenen Roboter – und die stehen bei uns.“

Im Karosseriebau arbeiten die Roboter hinter Schutzzäunen. Die gibt es in der Fahrzeugmontage nun nicht: „Adams“ Sensorik sorgt für eine reibungslose Zusammenarbeit, bei der immer der Mensch den Takt vorgibt. Im Werk Neckarsulm hebt ein Roboter die schwere Heckklappe über die Karosserie, doch das genaue Einfügen erledigt der Arbeiter. „Der Mensch kann besser Linien wahrnehmen oder Spalten einschätzen. Der Roboter kann nur entweder grob oder fein, groß oder klein“, erklärt Löser. „Es wird noch sehr, sehr lange dauern, bis er beides kann.“

Seiner Ansicht nach geht es künftig darum, die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine weiterzuverfeinern. Das verdeutlicht er gern an einem Beispiel aus dem Privatleben: „Was haben ein Wecker, eine Kaffeemaschine und ein Auto gemeinsam? Nichts.“ Aber schon bald könne sich das ändern. „Wie schnell schalte ich morgens den Klingelton meines Weckers ab? Vielleicht brauche ich etwas länger als sonst, weil ich am Abend davor wegen des Elfmeterschießens zwischen Bayern und Dortmund später ins Bett bin. Meine Kaffeemaschine erkennt den Hinweis des Weckers und macht den Kaffee stärker, denn ich bin müde und brauche mehr Koffein. Und weil das Navi einen Stau meldet, füllt sie den Kaffee gleich in einen Thermosbecher zum Mitnehmen, weil ich sofort losfahren muss.“

Übertragen auf die Autoproduktion stellt sich Löser eine Art Navi für die Fabrik vor, das den Menschen warnt, wenn es irgendwo gerade hakt und ihm Lösungen vorschlägt. „Die Maschine muss wissen, wo sie dem Mitarbeiter helfen kann – das ist die Vision. Aber die Entscheidung liegt beim Mitarbeiter – denn darin ist der Mensch unheimlich gut.“

Vielleicht gibt es in 20, 30 Jahren auch kein Fließband mehr, sinniert der Physiker, und das Auto rollt an Stationen vor. „An solchen Ideen sind wir dran. Bisher ist das 100 Jahre alte Konzept von Henry Ford aber immer noch das effektivste.“

Wie der Betriebsratschef glaubt auch Henning Löser, dass es künftig mehr Assistenzen durch Roboter gibt. Und zwischen Lager und Produktion mehr fahrerlose Transportsysteme für den Materialnachschub. „Dafür brauchen wir aber auch mehr Instandhalter in der Montage.“ Darum werde es auch in Zukunft keine menschenleere Fabrik geben.