Ingolstadt
Sture Gipfelstürmerin

09.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr
Erschöpft, aber glücklich: Doris Mayr (links) ist mit ihrem Bruder Florian auf dem Gipfel angekommen. −Foto: privat

Ingolstadt (DK) Als kleines Mädchen hat es Doris Mayr nicht in die Berge gezogen. Nun hat die Ingolstädterin den 5642 Meter hohen Elbrus im Kaukasus bezwungen - was sie mehr ihrem starken Willen als ihrer Fitness zu verdanken hat.

Aufgewachsen in der Nähe von Füssen vor der traumhaften Kulisse der bayerischen Königsschlösser, war Doris Mayr als kleines Mädchen oft mit ihrer Familie in den Bergen unterwegs. "Aber damals hat mir das nicht besonders viel Spaß gemacht", erzählt die 30-Jährige, die seit drei Jahren in Ingolstadt lebt und als Redakteurin beim Donaukurier arbeitet. "Wir Kinder mussten halt mit." Irgendetwas muss wohl jedoch hängen geblieben sein, schien sie doch langfristig fasziniert zu haben an der Schönheit der Alpen, den schneebedeckten Gipfeln, sattgrünen Wiesen und malerischen Panoramablicken.

Denn jetzt hat die Allgäuerin das Dach Europas erklommen, den 5642 Meter hohen Elbrus. Davor hat sie mit ihren Eltern die Alpen überquert - das war die einzige große Bergtour, die sie gegangen ist, ehe sie sich auf den Fünftausender gewagt hat. "Und danach war mein erster Gedanke: nie wieder", erinnert sich die 30-Jährige. Das hat sie sich dann allerdings noch einmal anders überlegt - die Aussicht, wenn man hoch oben am Gipfelkreuz steht und über den Wolken das Gefühl von Freiheit spürt, das ist spektakulär.

 

Und besonders spektakulär ist es auch auf dem Elbrus - sein Gipfel überragt den gesamten Kaukasus. Es war an Weihnachten, als ihr Bruder Florian sie fragte, ob sie mit ihm auf den Elbrus kommt. Elbrus? Von dem hatte die Allgäuerin zuvor noch nie gehört. Spontan sagte sie zu. Es folgte ein halbes Jahr Vorbereitung, die hauptsächlich darin bestand, joggen zu gehen und ein paar Wanderungen zu unternehmen - unter anderem auf die Zugspitze mit ihren 2900 Metern. Zu der sportlichen Herausforderung gesellte sich die organisatorische. Neben den Formularen für das Visum, die sich wegen der kyrillischen Buchstaben kaum entziffern ließen, musste sie noch jede Menge Ausrüstung anschaffen, darunter Eispickel und Steigeisen. 18 Kilogramm schwer war letztlich der Rucksack, mit dem Doris Mayr die Reise nach Russland antrat.

Die 13 Männer und Frauen aus Deutschland, die Teil der Reisegruppe von Doris Mayr waren, bezogen zunächst ein Hotel im Tal, am Fuße des Elbrus. "Das Wetter war überraschend gut", erzählt Doris Mayr. "Wir hatten immer zwischen 25 und 30 Grad." Von dort aus brachen die Bergsteiger eineinhalb Wochen lang zu Wanderungen in der Gegend auf - zur Akklimatisierung. Anschließend ging es mit Sack und Pack in einer Gondel auf 3700 Meter.
 



Dort stehen mehrere "Botschki" genannte Blechcontainer, die wie Röhren aussehen - und sehr spartanisch ausgestattet sind. "Kein fließendes Wasser, Plumpsklo, sechs Betten in einem Raum, nur eine Steckdose und eine mobile Heizung." Trinkwasser und Vorräte hatten die Deutschen aus dem Tal mit nach oben gebracht. Immerhin wartete dort eine Köchin. "Zum Frühstück Porridge, Milchreis, Eier, Instantkaffee, abends Brot mit Wurst und Käse." Fünf Tage lang brach die Truppe im Alter zwischen 27 und 69 inklusive Bergführer zu Acht-Stunden-Wanderungen auf. Dann, am Tag vor dem endgültigen Aufstieg zum Gipfel, fühlte sich Doris Mayr plötzlich auf halber Strecke unwohl, sah verschwommen und bekam Kopfschmerzen. "Da bin ich dann zurück zur Hütte", berichtet sie. "Das war frustrierend, wir waren einfach zu schnell unterwegs. Aber ich wollte es am nächsten Tag auf jeden Fall probieren."

Und das tat sie dann auch. Morgens um 2.30 Uhr gab es Frühstück, dann ging es mit der Pistenraupe eine dreiviertel Stunde lang von 3700 auf 4700 Meter. Der Gipfel des Elbrus war von dort aus noch 1000 Höhenmeter entfernt. Ihre Ausrüstung: lange Unterhose, Leggins, Wanderhose, Tourenhose, Gamaschen, langes Unterhemd, Fleecepulli, Daunenjacke, Regenjacke, Schneebrille, Mütze, Schal, Handschuhe, Überziehhandschuhe. Auf dem Sattel des Berges, etwa 350 Höhenmeter vor dem Ziel, dann ein Abgrund - der mentale Abgrund. "Ich dachte, ich kann nicht mehr", erinnert sich die junge Frau. "Da hab' ich erst einmal angefangen zu heulen." Die Gruppe aber redete ihr gut zu, unterstützte sie, motivierte sie. "Dann habe ich nur noch auf meine Füße geschaut und bin mit Hängen und Würgen und Schritt für Schritt weitergegangen. Auf den letzten 500 Metern muss man es einfach wollen, die Luft ist wahnsinnig dünn. Das ist dann mehr wie eine Schnappatmung, was man da macht."

 

Und dann schließlich die Belohnung für all die Mühen: der Gipfel. Blauer Himmel. Fernsicht, so weit das Auge reicht. Überall Berge. "Ich war einfach nur super stolz, dass ich es geschafft habe", erzählt sie. "Da habe ich gleich wieder zum Heulen angefangen, dieses Mal aus Erleichterung. Ein anderer aus der Gruppe hat noch gesagt: ,Das hast du mehr deinem Sturkopf als deiner Fitness zu verdanken.'" 15 Minuten genoss sie das atemberaubende Gefühl, den Berg tatsächlich bezwungen zu haben - dann ging es schon wieder bergab.

13 Tage war die junge Frau insgesamt im Kaukasus - seit ein paar Tagen ist sie zurück. Dieses Mal sagt sie nicht: "Nie wieder" wie damals nach der Alpenüberquerung. Sondern: "Jetzt reizt mich der Mont Blanc."