Eigentlich
Begriffe mit besonderer Bedeutung

Einige Wörter lassen sich nicht in eine andere Sprache übersetzen – sie verraten, was den Menschen wichtig ist

18.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:25 Uhr

 

Eigentlich fällt es gar nicht auf. Im Deutschen gibt es keinen Begriff für einen schlecht erzählten Witz. Auch das Zögern, wenn man eine Person vorstellen möchte und der Name liegt auf der Zunge, doch er fällt einem nicht ein – auch dafür braucht man ganze Sätze statt nur einen Begriff.

Andere Sprachen dagegen bringen diese Phänomene auf den Punkt, der humorlose Witz ist in Indonesien als „jayus“ bekannt, das Zögern fassen die Schotten als „tartle“ zusammen. Solche Wörter kennt jede Sprache: „Die einen haben einen einzigen Begriff, die anderen müssen das Ganze sehr umständlich formulieren“, sagt Sprachwissenschaftlerin Kerstin Kazzazi (Foto). Diese unübersetzbaren Wörter sind mehr als eine sprachwissenschaftliche Spielerei. Sie verraten einiges über die Kultur der Gesellschaft. „Im einen Volk haben die Leute etwas als bedeutend genug empfunden, um dafür ein eigenes Wort zu suchen. In einem anderen Volk hatte man dieses Bedürfnis nicht – also gibt es kein Wort“, sagt Kazzazi.

Die Sprachwissenschaftlerin stellt allerdings erst einmal klar: Auch wenn man diese Begriffe als „unübersetzbare Wörter“ zusammenfasst, wirklich unübersetzbar sei nichts. „Nur dass es ein direktes Pendant in nur einem Wort gibt, das ist nicht immer der Fall.“ Eine Erklärung für dieses Phänomen besteht in der These der sprachlichen Relativität: „Jede Sprache wird durch das bestimmt, was die Menschen wahrnehmen“, erklärt Kazzazi.

Ein einfacher aber sehr wichtiger Themenkomplex sei alles rund um das Essen. In der deutschen Sprache gibt es zwar ein Wort für das Gegenteil von hungrig – nämlich satt. Der Counterpart zu durstig hingegen fehlt. „Satt ist ein Konzept, das uns sehr nahe liegt: Wir essen und irgendwann sind wir voll“, erklärt Kazzazi. „Beim Trinken kommt man nicht wirklich an einen solchen Punkt.“ 1999 veranstaltete die Dudenredaktion zwar einen Wettbewerb, mehr als 100 000 Menschen beteiligten sich: Seitdem sollte das Wort „sitt“ diese Lücke füllen. Das Wort steht nun zwar im Duden, benutzt wird es jedoch kaum.

Den Zusammenhang zwischen der Bedeutung eines Umstandes und der entsprechenden Abbildung in der Sprache besteht allerdings nicht nur in der Küche oder am Esstisch: Auch auf zahlreichen anderen Gebieten, beispielsweise bei Gefühlen, unterscheiden sich Sprachen stark voneinander. Während der Englischsprechende lediglich sagt, er sei „upset“, verlangt der Deutsche Genauigkeit: traurig, verärgert, enttäuscht. „Der Deutsche will genau sagen, was gerade los ist“, sagt Kazzazi. „Während es dem Englischsprechenden reicht, allgemein kundzutun, er sei eben gerade nicht gut gelaunt.“

Die These der sprachlichen Relativität lässt sich nun auch umdrehen: Nicht nur die Wahrnehmung bestimmt die Sprache, möglicherweise bestimmt die Sprache auch die Wahrnehmung. „Eine Wechselwirkung ist lange umstritten“, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Ändert sich die Wahrnehmung, wenn man ein Wort für etwas hat? Die Tschechen beispielsweise haben das Wort „litost“ im Lexikon stehen: ein Gefühl der Trauer oder des Bedauerns, einen qualvollen Zustand, ausgelöst durch die plötzlich erlangte Klarheit über das eigene Unglück. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand die menschliche Seele ohne dieses Wort verstehen kann“, sagte der tschechische Autor Milan Kundera einmal. Aber er habe in anderen Sprachen vergeblich nach einem Äquivalent gesucht. Sind die Tschechen also in der Lage, dieses Gefühl zu empfinden, da sie ein Wort haben? Während andere Völker diese Gemütslage nicht kennen? Die Linguisten sprechen von der Sapir-Whorf-Hypothese: Sprache formt das Denken. „Eine Antwort gibt es dazu noch nicht“, sagt Kazzazi.

In puncto sprachlicher Relativität sind die Linguisten gerade in einer Sackgasse: Um diese Vermutung untersuchen zu können und eine Antwort auf die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Sprache zu bekommen, bräuchten sie Menschen, die lediglich eine Sprache – ihre Muttersprache – beherrschen. Genau solche Menschen gibt es aber in der heutigen Zeit kaum mehr. Meist kommen da nur Kinder in Frage, die aber in ihrer sprachlichen Entwicklung selbst noch am Anfang stehen – keine optimale Basis für Sprachforscher. Sie stehen vor einem Dilemma.