Berching
Der Ministerpräsident als Zugpferd

Gut 15 000 Menschen kommen zum Rossmarkt nach Berching, um edle Tiere und Festredner Horst Seehofer zu sehen

06.02.2013 | Stand 03.12.2020, 0:31 Uhr
Nach seiner Rede schlenderte Horst Seehofer leutselig über den Berchinger Rossmarkt, schüttelte Hände und nahm sich auch Zeit für das eine oder andere Gespräch. −Foto: Richter

Berching (DK) Mittwochfrüh in Berching. Der Tag ist noch gar nicht richtig angebrochen, als in dem beschaulichen Ort schon fleißig gewerkelt wird. Fieranten bauen ihre Verkaufsstände auf, am Rand des Reichenauplatzes hat die Kommune eine Bühne hingestellt. Einmal im Jahr zieht die alte Festungsstadt am Main-Donau-Kanal im Landkreis Neumarkt die Massen an.

Es ist wieder Zeit für den traditionellen Rossmarkt. So ist es vor langer Zeit beschlossen worden. 1920 hatte der Magistrat bestimmt, dass zwei Pferdemärkte im Jahr stattzufinden haben, geblieben ist einer, immer am ersten Mittwoch nach Lichtmess, also nach dem 2. Februar. Und auch wenn es heutzutage Autos, Busse und Züge gibt, bleibt die Faszination. Gut 15 000 Menschen strömen an diesem Tag in die kleine Stadt, die es gerade mal auf knapp 8600 Einwohner bringt. Sie wollen nicht nur edle Rösser sehen. Eines der Zugpferde ist sicher der Ehrengast: Ministerpräsident Horst Seehofer.

Was ist das für ein schöner Wintermorgen! Als es dämmert, schlendern schon die ersten Besucher durch die Straßen und Gassen. Dort, wo später 98 Pferde und vier Esel stehen werden, herrscht kurz vor 8 Uhr noch gähnende Leere. Nebenan gackern Hennen und krähen Hähne, dazwischen ist Entengequake zu hören. „Jetzt hab’ ich gedacht, das ist ein Rossmarkt und kein Geflügelhandel“, wundert sich eine Frau. Markus Hirsch aus Pavelsbach weiß es besser: „Das hier gehört dazu“, sagt er. Er kommt schon viele Jahre hierher, um Vorwerkhühner oder Laufenten – und wie sie alle heißen mögen – zu verkaufen. Offenbar rentiert sich der Aufwand. Andere Händler haben ihre Stände ebenfalls aufgebaut, neben dem Federvieh finden sich einige Kaninchen.

Es ist 8.30 Uhr. Die Sonne reißt plötzlich den grauen Himmel auf und taucht die Stadt in ein warmes Licht. Und dann steht das erste Pferd einsam auf dem Platz. Sein Besitzer bindet den Fuchs an den Holzbarrikaden fest, die für den Markt aufgestellt wurden, um danach zu verschwinden. Geht er eine Rosswurst essen, wie viele andere Besucher? An fast jeder Ecke steht eine Braterei. Sein Vierbeiner scheint sich derweil zu langweilen und beißt an dem Holzgestänge herum. Eine halbe Stunde später geht es endlich los. An den Straßenrändern ist kaum noch ein freier Platz zu finden. Festlich geschmückte Pferde kommen die Schulstraße herauf. Moderator Wolfgang Kühlechner hat zu jedem etwas zu sagen. Die Kaltblüter sind temperamentvoller als vermutet. Es braucht Kraft, sie zu zügeln. Kommt ihre Unruhe von der ungewohnten Umgebung – oder sind es die vielen Menschen und die Geräuschkulisse? Auf einigen Pferderücken sitzen Reiter, wie der vierjährige Levin, dessen Großvater sein Pony durch die Stadt führt. Ja, es hat sich gelohnt, die schmucken Tiere anzuschauen, sagen die Besucher. Aber sie erwarten noch mehr. Wann kommt er denn, der Herr Ministerpräsident?

Horst Seehofer lässt nicht auf sich warten. Pünktlich fährt er an der Grund- und Mittelschule vor. Zwei Bläserklassen erwarten ihn. Aber erst sind die Händeschüttler dran. Während die Kinder musizieren, stürzen Medienvertreter sich auf den Politiker. Keine Frage: Seehofer steckt schon mitten drin im Wahlkampf. Geduldig gibt er Interviews vor laufenden Kameras. Aber er vergisst auch die Kinder nicht. „Habt’s keinen Unterricht heut’ Vormittag“, fragt er und lacht. Da spielen sie ihm die Bayernhymne. Ihr Lehrer platzt schier vor Stolz. „Ich bin mit meiner Klasse extra vom Ammersee hergefahren“, erzählt er dem Ministerpräsidenten noch schnell.

Weniger frohgemut wirkt eine Gruppe von Bauern aus Berching und dem Umland. Sie haben spontan eine Demonstration initiiert, mit Transparenten und einem großen Trojanischen Pferd aus Holz. „Horst, steig ab vom toten Pferd der Globalisierung und Liberalisierung des Milchmarktes!“, fordern sie einen angemessenen Milchpreis. Eigentlich ist die Aktion nicht genehmigt, doch Neumarkts Polizeichef Helmut Lukas und Bürgermeister Ludwig Eisenreich drücken ein Auge zu. „Aber bleibt friedlich“, mahnen sie.

Das tun die Bauern, zumal Seehofer sich auch für sie ein paar Minuten Zeit nimmt und ihr Anliegen anhört. Er nimmt sogar eines ihrer Flugblätter mit und will sich die Sache ansehen. „Hoffentlich bleibt es nicht bei den Sprüchen“, zweifelt ein Landwirt. 2009, so heißt es auf einem der Transparente, habe der Seehofer schon mal was während des Rossmarktes versprochen und hinterher vergessen. Der Ministerpräsident will es aber an diesem sonnigen Wintermorgen offenbar jedem recht machen. Er spricht die Landwirte noch einmal an, macht Späße über Berlin oder schaut grimmig, wenn es um Länderfinanzausgleich und Studiengebühren geht. „Diese Ungerechtigkeiten schaffen wir ab“, verkündet er. Dann bekommen die gut 15 000 Menschen seine Version der Bayernhymne zu hören: ein Loblied auf den Freistaat und die bayerische Politik – seine Politik! Bayern als Vorstufe zum Paradies. Nein, an diesem Vormittag vergisst er niemanden, nicht die Stadtoberen, den Mittelstand, seine Parteifreunde oder die Lehrer. Und schließlich packt er noch ein Geschenk für die Neumarkter und Freystädter aus: Ja, sie sollen gemeinsam zum Mittelzentrum entwickelt werden. Als er dann auch noch „die größte Schnapsidee“ der EU, die Privatisierung der Trinkwasserversorgung, geißelt, jubeln und lachen die Menschen.

Das Bad in der Menge lässt Seehofer sich nicht nehmen, obwohl er schon spät dran ist. Schnell noch ein paar Worte mit einigen Polizisten und Sanitätern. Die Hände recken sich ihm entgegen. Das ist Wahlkampf pur! Und es macht ihm Spaß. Viermal sei er schon da gewesen und er komme wieder, um mit den fünf Besuchen von Franz-Josef Strauß gleichzuziehen, sagt er. Bevor er schließlich im BMW davon fährt, winkt er den Bauern noch einmal mit ihrem Flugblatt zu.