Salzburg
Grelles Pandämonium

Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd" wird in Salzburg bejubelt

30.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:43 Uhr

Salzburg (DK) Das ist Naturalismus pur: Das schöne, aber arme Bauernmädel Rose Bernd aus dem schlesischen Hirschberg erwartet von dem verheirateten Gemeindevorsteher Flamm ein Kind. Da dieses "Kavaliersdelikt" des Mannes nach herrschender Doppelmoral von der Gesellschaft gedeckt wird, das "gefallene Mädchen" am Fehltritt des Ehebrechers freilich die Schuld trägt, wird Rose von dem Nichtsnutz und Alkoholiker Streckmann erpresst, da ihr strenggläubiger Vater und ihr Verlobter August von Flamms und Roses heimlichem Liebesverhältnis nichts erfahren dürfen.

Rose bietet dem Mitwisser ein Schweigegeld an, doch Streckmann will kein Geld, sondern Sex. Als sie entrüstet ablehnt, vergewaltigt er Rose, um anschließend der Dorfgemeinschaft die Liaison der so ehrbaren Bernd-Tochter mit dem Gemeindevorstand mitzuteilen. Vater Bernd will die "Schande" seiner Tochter jedoch nicht auf sich sitzenlassen, weshalb er einen Prozess gegen Streckmann anstrengt, bei dem Rose als "Schuldige" einen Meineid schwört, um anschließend ihr neugeborenes Kind zu erwürgen.

Doch was destillierte die Regisseurin Karin Henkel aus diesem nach der Uraufführung 1903 in Berlin Furore machenden Drama nun in ihrer Neuinszenierung des Salzburger Festivals auf der Experimentier- und Alternativbühne der Perner-Insel in Hallein? Ein grelles Pandämonium restlos kaputter Menschen in einer von Heuchelei, Lügen und Bigotterie geprägten patriarchalisch-chauvinistischen Welt. In ihrer Psyche deformierte Klein- und Spießbürger sind sie alle, Gefangene der in dieser Macho-Gesellschaft sanktionierten Moralvorstellungen, die das Recht auf weibliche Selbstbestimmung negieren. Den gesellschaftlichen Zwängen haben sich die selbst ernannten Tugendwächter nicht nur unterworfen, sondern sie haben diese Regularien auch vollends als selbstverständlich akzeptiert. Einzig Rose Bernd kämpft mit beinahe selbstzerstörerischer Vehemenz und radikaler Emotionalität dagegen an. Und scheitert.

In einem schwarzen Tunnel (von Volker Hintermeier), der früher wohl als Pferdestall gedient hat, führt ein Laufsteg in Form eines christlichen Kreuzes über die mit schwarzer Erde bedeckten leeren Kojen. Mit expressionistischer Emphase tobt hier das Geschehen, während weiße (Friedens-)Tauben in einem Käfig - freilich ohne Aussicht auf Erfolg - auf ihre Freilassung warten. Ein Bühnenbild voller Symbolik.

Hinreißend, wie Lina Beckmann in der Titelrolle als physisch und psychisch geschundene Kreatur mit Frauenpower (und teilweise auch in schwer verständlichem schlesischen Dialekt) gegen die Vorurteile und die Engstirnigkeit der übermächtigen Kamarilla ihrer Dorf-"Gemeinschaft" argumentiert, vor allem jedoch brüllend, schreiend und tobend ankämpft und dafür Hohn, Spott und Aggressionen erdulden muss. Einzig von der gelähmten Ehefrau des Gemeindevorstehers (Julia Wieninger) und Vaters des unehelichen und nach dem Gerichtsurteil getöteten Kindes wird sie moralisch unterstützt. Ansonsten unsägliche Spießer, Maulhelden und fromme Kirchenlieder singende Moralprediger wie Roses Vater (Michael Prelle), ihr Verlobter (Maik Solbach, der von der Regisseurin wenig einfühlsam als Behinderter vorgeführt wird) und Roses Erpresser und Vergewaltiger (Gregor Bloéb) samt den krakeelenden Dorfburschen.

Als Lina Beckmann im gleißenden Scheinwerferlicht den Schlussmonolog über die für Rose Bernd ausweglose Situation ergreifend zu Gehör gebracht hat, da war nach dreistündiger, leider auch mit einigen überflüssigen Regiemätzchen angereicherten Aufführung der Jubel des Premierenpublikums mit Standing Ovations nicht mehr aufzuhalten.

Die nächsten Vorstellungen bei den Salzburger Festspielen sind am 1., 4., 5., 6., 8. und 9. August. Kartentelefon: (0043) 66 28 04 55 00.