Salzburg
Grausame Bilder, großartige Musik

Alban Bergs "Wozzeck" in der Neuinszenierung von William Kentridge wird in Salzburg frenetisch gefeiert

09.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr

Salzburg (DK) Noch bevor die ersten Takte erklingen, lässt Wozzeck einen Film als fiktive und doch reale Wochenschau über die Leinwand flimmern: Kriegskrüppel humpeln über Schlachtfelder, Invaliden mit fehlenden Gliedmaßen und verbundenen Köpfen torkeln durch Ruinenstädte, und in heillos überfüllten Lazaretten warten die Verletzten nur noch auf ihren Tod.

Welch eine ebenso eindrucksvolle wie makabre Idee des 1955 im südafrikanischen Johannesburg geborenen Filmemachers, Regisseurs und Performancekünstlers William Kentridge, Alban Bergs kongeniale Vertonung von Georg Büchners Psycho-Dramenfetzen aus den 1830er-Jahren aus dem Mief einer hessischen Kleinstadt in die Apokalypse des Ersten Weltkrieges zu verlegen. Und bestens ergänzt wird diese Regie-Interpretation bei den Salzburger Festspielen nicht nur durch den im Programmheft auszugsweisen Abdruck von Karl Kraus' Aufsatz "Die letzten Tage der Menschheit", sondern vor allem auch durch den ausführlich dargelegten Forschungsbericht, wie Alban Bergs bittere Erfahrungen in der Offiziersschule und seine Kriegserlebnisse ihn traumatisiert und zur Komposition dieser Oper nicht nur angeregt, sondern ihn geradezu dazu getrieben haben.

Folglich zeigt Kentridge als Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion in dieser beklemmenden Inszenierung Wozzeck nicht nur als eine durch den Horror des Krieges restlos geschundene Kreatur, sondern auch die übrigen Figuren als physisch und psychisch völlig deformierte Menschen: Der Hauptmann, dem Wozzeck als gelernter Friseur und einfacher Soldat zu rasieren hat und ihn mit Vorwürfen überhäuft, ist hier ein Kriegsverherrlicher übelster Sorte, der Doktor, für dessen medizinische Karriere Wozzeck Erbsen schlucken muss, ist ein Militärarzt ohne jegliche Moral, und der Tambourmajor, den Wozzecks Geliebte Marie und Mutter seines unehelichen Sohnes anhimmelt, ist kein stattlicher "Mann wie ein Löw", sondern ein über Leichen gehender, mordlüsterner Macho.

Dies alles bebildert mit einer in Düsternis getauchten Bühnencollage mit Fotos von Schlachtfeldern in Belgien und Frankreich, über die Holzstege in den "ehrenvollen Tod fürs Vaterland" führen. Dazu werden in ununterbrochener Folge Originalfotos und nachgestellte Szenen als Videos von verstümmelten und zerfetzten Leichen in Schützengräben, von Soldaten mit Gasmasken, Pferdeskeletten, zerstörten Städten und anderen Kriegsgräueln mehr auf das Bühnenbild projiziert. Momentaufnahmen aus dem Inferno des Ersten Weltkrieges und als Horrorvisionen in Wozzecks Albträumen. Kein Wunder, dass Wozzeck in dieser Hölle des Krieges, in dieser Welt, "die in Feuer aufging", wie er konstatiert, restlos verzweifelt und Marie aus Eifersucht nicht an einem gewöhnlichen Teich ersticht, sondern an einem mit dem Blut der gefallenen Soldaten gefüllten Bombentrichter.

So gespenstisch und überwältigend die in ihrer Grausamkeit schockierende Bilderflut auch ist, so lenkt sie bisweilen auch von den musikalischen und sängerischen Glanzleistungen dieser höchst ambitionierten Neuproduktion der Salzburger Festspiele ab. Aber die gewaltige Expressivität, die Alban Berg in diese 1921 vollendete Partitur gelegt hat, und das lodernde musikalische Feuer dieser Komposition führten die brillant spielenden Wiener Philharmoniker unter Vladimir Jurowskis ebenso energiegeladener wie empfindsamer Leitung zu Gänsehaut erzeugenden Höhen. Und die erbarmungslos albtraumhaften Bilder gehen letztlich doch mit dieser ungemein ausdrucksstarken musikalischen Wiedergabe eine Symbiose von selten zu erlebender Wucht ein.

Bravourös auch das Sängerinnen- und Sängerensemble, das sich auch schauspielerisch in einen expressiven Furor stürzte: allen voran Gerhard Siegel (Hauptmann), Jens Larsen (Doktor), John Daszak (Tambourmajor), Mauro Peter (Wozzecks Gefährte Andres) und Frances Pappas (Maries Freundin Margret). Am brillantesten freilich Matthias Goerne als der von innerer Unruhe getriebene, vom Horror des Krieges zum "Hirnwütigen" gewordene Wozzeck mit baritonaler Prachtstimme und die mit einem metallisch leuchtenden dramatischen Sopran gesegnete Asmik Grigorian als Marie, die ihren sozialen Aufstieg durch die Liaison mit dem Tambourmajor erreichen möchte und dafür mit dem Leben bezahlen muss.

Es ist eine Aufführung voll grausamer Bilder und großartiger Musik, ein über zwei ungemein spannende Stunden hinweg ganz gewaltig unter die Haut gehendes Seelendrama, das in den sonst so glamourösen Salzburger Festspielen einen höchst eindrucksvollen Kontrapunkt setzt. Und der vom Premierenpublikum frenetisch gefeiert wurde.

Weitere Vorstellungen am 14., 17., 24. und 27. August. Informationen und Karten unter www.salzburgerfestspiele.at" class="more"%>.