"Philosophie ohne Naturwissenschaft ist leer"

05.01.2009 | Stand 03.12.2020, 5:18 Uhr

Eloquent, selbstbewusst und originell: Richard David Precht. - Foto: Goldmann

Köln/Ingolstadt (DK) Er hat erreicht, was Jürgen Habermas und Odo Marquard, Dieter Henrich und Robert Spaemann, Ernst Tugendhat, Peter Sloterdijks und all den anderen angesehenen deutschen Berufsdenkern nicht gelungen ist: Richard David Precht hat einen Bestseller über das schwierige Thema Philosophie geschrieben, der in aller Munde ist. Er ist der schöne Prinz, der die uralte Disziplin im Elfenbeinturm der Wissenschaften wie Dornröschen wachgeküsst hat. Das Rezept für den Erfolg: Sein Buch "Wer bin ich und wenn ja, wie viele" verzichtet auf abschreckendes Fachvokabular und Bildungsbalast. Es ist lustvoll zu lesen, weil es wichtige Fragen stellt und sie unkonventionell unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften beantwortet. Prechts Buch ist ganz einfach am Puls der Zeit formuliert. An diesem Donnerstag wird der Senkrechtstarter in der Intellektuellen-Szene das vom DONAUKURIER und der Buchhandlung Ganghofer veranstaltete Festival LeseLust eröffnen.

Der Kölner Schriftsteller weiß natürlich ganz genau, was die Vorzüge seiner Philosophie-Einführung sind. Und er ist sich darüber im klaren, warum die große alte Mutter aller unabhängigen Wissenschaften in der Krise steckt. Umso erbarmungsloser geht er mit den Protagonisten seiner Zunft ins Gericht. "Die Philosophie ist eine sehr konservative, rückwärtsgewandte Disziplin an unseren Universitäten", kritisierte er vor einigen Monaten in einem Interview mit dem DONAUKURIER seine Kollegen. Aber Precht kann auch die Ursache der Misere treffend analysieren: Schuld sei das Bildungssystem, das besonders die fleißige Mittelmäßigkeit fördere sowie der hohe Spezialisierungsgrad, der Arbeiten über wirklich interessante, interdisziplinäre Themen wie etwa über die Liebe unmöglich mache. Und er bedauert die Eigenart der Universitäten, den Studenten das stilsichere Formulieren und eloquente Reden abzugewöhnen. Es herrsche ein leidiger elitärer Jargon. Aber: "Philosophen, die sich nur untereinander verstehen, sind für die Gesellschaft wertlos."

Man merkt: An Selbstbewusstsein fehlt es dem neuen Star-Philosophen nicht. Im Gegenteil. Der gut aussehende Denker, der in Köln Germanistik und Philosophie studierte und über Robert Musil promovierte, redet klar und verständlich, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen und vor allem druckreif. So einer beeindruckt in den Fernsehtalkshows mit seiner Ernsthaftigkeit.

Viel Grundlegendes zur Philosophie hat Precht allerdings bisher nicht beizutragen. Was aber nicht weiter verwunderlich ist. Denn sein Buch ist schließlich eine Art Einführung, die zahlreiche Diskussionen der Geisteswissenschaften aufarbeitet, sie aber nicht vertiefen kann. Dennoch liegt seinem Buch ein interessanter Geistesblitz zugrunde: Precht hat ein Dogma aufgebrochen, indem er philosophische Fragen nicht nur rein begriffsanalytisch angeht, sondern unter Zuhilfenahme empirischer Wissenschaften wie der Psychologie und der Gehirnforschung. Eigentlich ist das ein Sündenfall für die hehre Lehre der Philosophie. Denn ihre Existenz basiert (mindestens seit Immanuel Kant) auf der strikten Trennung von Erfahrungswissenschaften und reinem Denken a priori.

Precht kümmert sich wenig um diese Distinktion. Ihm geht es um die großen Fragen, und er beantwortet sie so gut es eben geht, mit welcher Wissenschaft auch immer. Brillant formuliert er sein Diktum (frei nach Kant): "Philosophie ohne Naturwissenschaft ist leer. Und Naturwissenschaften ohne Philosophie sind blind." Der ebenso undogmatische wie unkonventionelle Zugang zur Wissenschaft ist typisch für Richard David Precht. Obwohl er mit hervorragenden Zensuren ein Universitätsstudium absolvierte, hat er keine Neigung verspürt, im heimeligen Reich der Hörsäle und Seminare eine Professur anzustreben. Nach der Promotion wurde er freier Wissenschaftsjournalist, der vielfach mit Preisen geehrt, in überregionalen Zeitungen veröffentlichte. Aber Prechts Interessen gingen noch weiter. Er schrieb zwei Romane (einen davon mit seinem Bruder zusammen) und ein Sachbuch über Tierrechte ("Noahs Erbe").

Ein Zeichen seiner hohen Selbsteinschätzung ist vielleicht das vorläufig letzte größere Werk des Kölner Autors. Der 44-Jährige arbeitete an einer Verfilmung eines seiner Bücher mit, einer Art Autobiografie: "Lenin kam nur bis Lüdenscheid. Meine kleine deutsche Revolution". Prechts Kindheit ist in der Tat ungewöhnlich: Genau in der Zeit der Studentenrevolte wuchs er als Kind marxistischer Eltern auf, lernte früh schon zwischen "gut" und "böse" zu unterscheiden, nämlich zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Coca Cola und Ketchup waren verpönt unter der klassenkämpferischen Käseglocke im kleinen Solingen, dafür wurden die Lieder von Franz Josef Degenhardt und das Berliner Grips-Theater hoch gehalten. Ein ungewöhnliches Leben, spannend erzählt. Irgendwie ist dieser Richard David Precht ein Glückskind: Er ist nicht nur ein ziemlich origineller Autor, sondern er kann auch von einem außergewöhnlichen Leben berichten.

Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Goldmann, München 2007, 14,95 Euro.

Precht eröffnet das Festival LeseLust am 8. Januar, 19.30 Uhr, im DK-Forum im Ingolstädter Verlagshaus. Karten gibt es bei den DK-Geschäftsstellen, bei der Buchhandlung Ganghofer und unter der Tickethotline (01 80) 3 00 00 13.