München
Zwischen Dramatik und Larmoyanz

Hausherr Christian Stückl inszeniert Dostojewskis "Schuld und Sühne" am Münchner Volkstheater

13.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:26 Uhr

Nichts als Wut: Raskolnikow (Paul Behren) macht auch vor Sonja (Carolin Hartmann) nicht halt - Foto: Neeb

München (DK) Eigentlich wollte er nicht Schauspieler werden, sondern Clown, da er bis zum 20. Lebensjahr bereits in einem Tübinger Kinderzirkus mitgewirkt hat. Und doch ging Paul Behren auf die Essener Folkwang-Schule, wo er ein Schauspielstudium absolvierte und danach trotzdem wieder zum Zirkus zurückkehren wollte.

Davon hat ihn Volkstheater-Intendant Christian Stückl abgehalten. Freilich nur ein wenig. Denn wegen seiner Clownsfähigkeiten hat er ihn von der Schauspielschule weg engagiert, um mit ihm die Rolle des durchgeknallten Hagen als Comicfigur in Feridun Zaimoglis und Günter Senkels „Siegfried“-Adaption kongenial zu besetzen. Und schon einmal als schräger Typ festgelegt, füllte Paul Behren herzerweichend komisch die Rolle der bigotten Erna in Abdullah Karacas’ hinreißender Inszenierung von Werner Schwabs „Präsidentinnen“ aus. Zwei Volkstheater-Produktionen, die inzwischen Kultcharakter genießen.

Jetzt also Paul Behren als Rodion Raskolnikow, die Hauptfigur in Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“ (1866). Die rund 800 Buchseiten hat Stückl als Regisseur auf gut zweieinhalb Stunden Spieldauer eingedampft. Trotzdem ist das mindestens noch eine Stunde zu viel. Denn von Pathos, Larmoyanz und Geschwätzigkeit quellen einige Szenen geradezu über, die das Drama über den Eigenbrödler und Egozentriker Raskolnikow leider verwässern. Denn auf Paul Behren als Amok laufender Feuerkopf, der dem Wahnsinn verfällt, hat Stückl seine Inszenierung voll zugeschnitten. Und mit welch staunenswerter Vehemenz Behren diesen psychisch restlos kaputten Raskolnikow darstellt, das ist – trotz mancher Längen der Aufführung – allein schon ihren Besuch wert.

In einer kahlen Dachkammer mit einer über den Boden verstreuten halben Uni-Bibliothek und einem Kühlschrank voller Wodkaflaschen (Bühne: Stefan Hageneier) diskutieren die höchst unterschiedlichen Petersburger Studentinnen wie in einer 68er WG ebenso hitzig wie auch gelangweilt über Freiheit und Sozialismus, Menschenrechte, Kapitalismus, die Ursachen von Gewalt. Doch als der verkrachte Jurastudent Raskolnikow sich dabei zu der These sich versteigt, dass außergewöhnliche Menschen (wie er) auch das Recht haben, einen „erlaubten Mord“ ohne Skrupel und Strafverfolgung begehen zu dürfen, wandelt sich der intellektuelle Smalltalk zum Krimi. Raskolnikow hat eine Pfandleiherin und deren Schwester erschlagen, da sie ihn mit ihren Wucherzinsen in die Schuldenfalle getrieben haben. Ein „gerechter Mord“?

Doch der Mord ist nicht das Thema bei Stückl, sondern Raskolnikows Amoklauf, mit dem er sein Gewissen durch Wüten, Fieberanfälle und immer wilder werdende Aggressionsschübe zu beruhigen versucht. Absolut nichts Clowneskes ist in Paul Behrens grandioser Darstellung zu erkennen; nur noch ein Fall für die Psychiatrie ist dieser eifernd-geifernde Chaot im grauen Unterhemd.

Die übrigen Figuren lässt Stückl als Kontrast mit weniger Hyperdramatik, jedoch höchst gestenreich agieren: Oliver Möller gibt den aufstrebenden Rechtsanwalt als eiskalten Egoisten ab, der seine Geliebte, Raskolnikows Schwester (Magdalena Wiedenhofer), seines gesellschaftlichen Aufstiegs wegen sitzen lässt. Jakob Geßner verkörpert den bodenständigen Studenten Rasumichin so ideal wie Moritz Kienemann den stud.med Sossimow als liebenswerten Filou. Pascal Fligg füllt die Rolle des Untersuchungsrichters Porfiru als russischer Sherlock Holmes bestens aus, und Carolin Hartmann zeigt anrührend, wie die zur Gelegenheitsprostitution gezwungene Sonja bei ihren Kommilitonen um echte Liebe buhlt, jedoch nur zum Abladen von Seelenmüll benutzt wird.

Das Premierenpublikum jubelte dieser Neuinszenierung zu, vor allem jedoch Paul Behren für seine schauspielerische Prachtleistung.

Die nächsten Aufführungen sind am 17., 20., 26. und 27. Dezember. Kartentelefon: (0 89) 5 23 46 55.