München (DK) Weltenkunde sollte eine höfische Gesellschaft amüsieren und zeigen, wie in vier fremden Kulturen, bei den galanten Wilden, geliebt wird. Dem seit Ludwig XIV. zur Staatskunst geadelten Tanz entsprechend schuf 1735
Triumph der Musik

Münchner Opernfestspiele: Publikum feiert "Les Indes galantes"

25.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

Das Fremde ist spannend: Szene aus Sidi Larbi Cherkaouis Inszenierung "Les Indes galantes". - Foto: Hösl

München (DK) Weltenkunde sollte eine höfische Gesellschaft amüsieren und zeigen, wie in vier fremden Kulturen, bei den galanten Wilden, geliebt wird. Dem seit Ludwig XIV. zur Staatskunst geadelten Tanz entsprechend schuf 1735/36 Jean-Philippe Rameau ein "Opéra-ballet", gleichsam ein Vorgriff auf das Gesamtkunstwerk, das nun spät zur Münchner Erstaufführung kam - als zweite und letzte große Opern-Neuinszenierung der Opernfestspiele 2016.

Uneingeschränkter, frenetischer Jubel im Prinzregententheater - zu Recht für die musikalische Seite. Mit Ivor Bolton kam der emphatische Kenner und Liebhaber dieser Musik ans Pult. Mit einem um Originalinstrumente angereicherten "Festspielorchester" breitete er wie aus einer Schatzkiste aus, dass Rameau bis heute Weiterwirkendes komponiert hat: Stimmungen mit Tempi verbunden, aus dem Rezitativ kurz auftauchende Ariosi, die fließend ins Rezitativische zurückführen, raffinierte Harmoniewechsel unter Einbezug von Dissonanzen, die geradezu modernistische Verwendung von rhythmisch ungleichmäßigen Notenwerten, wie sie im Jazz vorkommen und Rameaus Musik oft tänzerischen Swing verleihen, der zusammen mit dem immer neuen Klangfarben auch heute begeistern kann. All das gelang mal spielerisch kurzweilig, mal dramatisch gewitternd, mal lyrisch intim oder von klagender Seelentiefe kündend.

Stellvertretend für die vielen begeisternden Instrumentalisten sei das betörende Flöten-Spiel von Mathias Kiesling genannt, der wesentlich zum Solo-Applaus für Phanis Anrufung des Ehegottes beitrug. Auch ein späteres Quartett löste Szenenbeifall aus, denn auf der Bühne stand ein Traumensemble: zehn erstklassige Solisten wechselten durch 15 Rollen und Charaktere, bezauberten, amüsierten und beeindruckten . . . Ein musikalischer Festspielabend.

Das Werk präsentierte mitten im damals laufenden Kolonialisierungsprozess und dem aufklärerischen Interesse an Neuem, Fremdem und Exotischem mit den Schauplätzen "osmanische Türkei", "Inka-Peru", "orientalisches Persien" und "indianisches Amerika" schon damals Gesellschaftspolitik im Theaterkostüm. Für all das baute Anna Viebrock einen edel heruntergekommenen Saal mit Stacheldrahtbegrenzung als Bühnenbild. Darin - Inszenierung und Choreografie stammen von Sidi Larbi Cherkaoui - wird anfangs eine Schulklasse unterrichtet. Museale Schaukästen werden von den Tänzerinnen und Tänzern der Eastman Company hereingeschoben, doch niemals zur Vorführung von "lebenden Bildern" genutzt. Eine womöglich aus Viebrocks Marthaler-Bebilderungen mitgebrachte männliche Reinigungskraft durchtanzt den ganzen Abend putzend. Ein Schulschrank wird als von Amor überwachte geschlechtergetrennte Toilette genutzt, später auch als Beichtstuhl. Der originale Naturvolk-Priester ist zum sexwütigen Pfarrer geworden, der auf einem Segboard umhergleitet. Der vielfach umkostümierte und herrlich differenziert singende Freiburger Balthasar-Neumann-Chor tritt dann auch als Flüchtlingszug von heute samt Plastikplanenunterkunft auf. Mehrere Tänzer fuchteln unprofessionell mit Kalaschnikows.

Die Choreografie vereint Athletisches, Kreiselndes, Wälzungen, Domino-Effekte, Kriechen und Springen. Alle Liebesprobleme scheinen am Schluss gelöst, indem Zima und Adorio und einige Tänzer zum Duett-Rondo "Friedliche Wälder" eine imaginäre Glasscheibe zwischen Bühne und Publikum putzen. Einhelliger Jubel.