München (DK) "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus." Mit diesem Satz beginnt das berühmteste Manifest der Weltgeschichte, 1847
Poesie statt Populismus

Julian Rosefeldt zeigt die berückende Filmcollage "Manifesto" in der Münchner Villa Stuck

01.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:34 Uhr

München (DK) "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus." Mit diesem Satz beginnt das berühmteste Manifest der Weltgeschichte, 1847/48 geschrieben von Karl Marx und Friedrich Engels. Nach diesem Text wurden ungezählte weitere Manifeste geschrieben - von Malern, Schriftstellern, Architekten, Regisseuren.

Der deutsche Filmkünstler Julian Rosefeldt, 1965 in München geboren, hat aus sechzig Manifesten des 19. und 20. Jahrhunderts seine Film-Collage "Manifesto" gefertigt, die jetzt auf dreizehn Leinwänden im Museum Villa Stuck zu sehen ist. Protagonistin der Installation ist die australische Schauspielerin Cate Blanchett, die in ihren Rollen eine große Präsenz ausstrahlt.

Manifeste sind geprägt von Pathos. Denn die männlichen Autoren - ob André Breton oder Sol LeWitt, Wassily Kandinsky oder Werner Herzog, Lucio Fontana oder Lars von Trier - wollten die Welt oder zumindest die Kunst verändern. Wie aber lassen sich diese Statements in Bilder umsetzen, und wie lassen sie sich heute vortragen? Julian Rosefeldt "übersetzt" die Worte, indem er ein passendes architektonisches Umfeld sucht und der Schauspielerin Cate Blanchett verschiedene Rollen zuordnet. Und so mimt sie einen Obdachlosen, der kreischend durch eine Fabrikruine torkelt, um vom Dach per Megaphon aus Manifeste des 20. Jahrhunderts zu zitieren. Oder sie spielt eine konservative Mutter am Familientisch, die mit gefalteten Händen das Pop-Art-Manifest von Claes Oldenburg herunterbetet, während die Ente erkaltet und die Kinder sich langweilen.

Rosefeldt entdeckte für sein Projekt die abenteuerlichsten Schauplätze. Ob Villa am See, wo eine Geschäftsführerin aus dem Almanach des "Blauen Reiters" zitiert, oder Müllverbrennungsanlage, wo die Arbeiterin programmatische Texte von bekannten Architekten aufsagt - die Situationen wirken absurd und dennoch ernst. Das "Manifest der futuristischen Maler" singt Blanchett als Börsenmaklerin - in einem anderen Beitrag trägt sie als Trauerrednerin am offenen Grab programmatische Texte des Dadaismus vor, und die Szene wirkt so surreal, dass sie Tristan Tzara wohl gefallen hätte.

Auf drei Ebenen des Museums laufen in abgedunkelten Sälen zeitgleich der Prolog und die zwölf zehnminütigen Sequenzen - wer mag, kann auf Sitzbänken Platz nehmen. Die Vorführorte sind akustisch nicht voneinander getrennt - die babylonische Sprachverwirrung, die freilich immer wieder unversehens von einem synchron geschalteten Summen aus allen Bildschirmen unterbrochen wird, ist aber Teil des Konzepts. Verständnis erschwerend kommt hinzu, dass die Texte auf Englisch gesprochen werden, mit unterschiedlichen regionalen und sozialen Akzenten. Unter- oder Obertitel gibt es nicht - dafür aber ein dickes Katalogbuch mit den abgedruckten Manifesten, die sich immerhin nachträglich lesen lassen.

Im siebten Beitrag mit Texten von André Breton taucht für einen kurzen Augenblick Karl Marx als Marionetten-Figur auf. So wie der Kommunist verkleinert wurde auf eine Handpuppe, so hat Rosefeldt all die großen Zukunftsvisionen zu einem bunten Sprach- und Bildteppich miteinander verwoben, hat mit Ironie das Pathos der Texte aufgebrochen und die schäumende Wut einem Obdachlosen in den Mund gelegt. Wenn jedoch auf der ersten Leinwand mit dem "Prolog" eine Zündschnur abbrennt und sich nach dem Funkenregen und den züngelnden Flammen am Ende Dunkelheit ausbreitet, dann bleibt die Frage, was von all diesen pathetischen, fordernden, analytischen und zuweilen auch absurden Texten übrigbleibt, und woran sich zukünftige gesellschaftliche und künstlerische Bewegungen ausrichten.

"Heute manifestiert sich viel Dummheit im Populismus-Wahn", konstatiert Julian Rosefeldt und empfiehlt, die alten Texte voller Kraft und Poesie neu zu rezipieren. #media-0;