München
Mal Teufel, mal Gretchen

"Verweile doch ...": Riesenandrang bei "Faust"-Lesungen mit Klaus Maria Brandauer in München

23.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:39 Uhr

Klaus Maria Brandauer verführte das Münchner Publikum mit einer herrlichen "Faust"-Lesung in zwei Teilen. - Foto: Obermeier

München (DK) Er ist Mephisto - und hat ihn doch nie auf der Bühne gespielt: Klaus Maria Brandauer, dessen weiß geschminktes Gesicht mit den verführerisch schattierten Augen sich als ikonische Maske des Mephistopheles eingeprägt hat. Das Gurren seiner Stimme hat sich ins Hirn gefressen: "Bluuut ist ein ganz besondrer Saft." Aber er spielte den Mephistodarsteller Gustaf Gründgens, nicht die Rolle selbst, im oscarprämierten Film von 1981, nie einen Faust, nie einen Mephisto.

Zum Faust-Fest in München war Brandauer jetzt dennoch als Stargast geladen. Er gab zwei Lesungen und zwar - so viel Grandezza darf sich der 74 Jahre alte Burgschauspieler herausnehmen - als Überraschungsprogramm.

Im so alteingesessenen wie edlen Modehaus Beck am Marienplatz, das sich nicht nur die schönste Musikabteilung der Stadt, sondern auch eine kleine Bühne leistet, trat Brandauer bei freiem Eintritt auf. Das Kaufhaus wurde also hoffnungslos überrannt. Zwischen zahllosen Musikscheiben harrte man dicht gedrängt, und wer beispielsweise in der Pop-Rubrik bei "Pink Floyd, Placebo und Poco" zu stehen kam, hatte verloren: Die Lesung blieb ein Hörspiel. Wie immer tröstet auch hier ein Faust Zitat: "Allein der Vortrag macht des Redners Glück."

Brandauers Lesung mit zarter Klavierbegleitung lohnte auch ohne Sicht. Er las überraschenderweise das Gretchen, als kunstlos zusammengestrichenen Monolog aus dem Rollenbuch, aber mit "Herz- und Nasenblut", wie später die Moderatorin Christine Dössel bemerkte, welche dem Schauspieler fürsorglich ein Taschentuch anreichte. Wie Brandauer sich mit ihr nach seinem Gretchen-Debüt ins Plaudern begab, war Illusionismus in Reinkultur. Er verführte die Gesprächspartnerin, das Publikum, München. Er charmierte, sinnierte, wand Wortgirlanden - und niemandem fiel auf, wie alle Fragen offen blieben. Das Publikum geriet in Trance, zarter Schwefelduft durchzog die Räume, der Zauberer machte "plopp!" und verschwand.

Zwei Stunden später erschien er in der Kunsthalle, wo gerade eine der beiden Faust-Ausstellungen läuft. Hier las Brandauer vor zahlendem und sittsam sitzendem Publikum ein zweites Programm aus seiner schwarzen Kladde, einen öfters schon erprobten Abend. Der Textzusammenstellung "Faust - ein gefesselter Prometheus" hätte freilich eine gestaltende Hand nicht geschadet, aber von Brandauer würde man sich wohl sogar einen Bahnfahrplan vorlesen lassen. Die musikalische Randung durch den grandiosen Münchner Arno Waschk verlieh dem Zauber noch einen klugen Akzent, dieser Pianist tanzt mit dem Teufel.

Brandauer indes traumwandelt auf mäandernder Lesespur. Beginnend mit der Zueignung aus Faust I, schweifend über Heine, Hauptmann oder Enzensberger, verharrend bei einem infernalischen Bericht aus Hiroshima erliegt man der Lesung. Beschenkt erfreut man sich so an jenem für das Prinzregententheater angekündigten Abend, den Brandauer im Januar aus gesundheitlichen Gründen absagen musste.

Das Motto der groß angelegten Faust-Reihe in München heißt "Du bist Faust" - und das ist vielleicht gar nicht mal nur plakativ. Wir alle sind Faust - und natürlich auch Gretchen, konnte man nach diesem Abend mit dem einem, gleichzeitig falschen und doch einzig wahren "Mephisto" feststellen.