München
Kulturschutz vor Eigennutz

Eine Gesetzesnovelle erregt die Gemüter der deutschen Kunstszene – Im kommenden Jahr soll sie umgesetzt werden

26.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr

Geschütztes Kulturgut: Wassily Kandinskys „Das bunte Leben“, eine Dauerleihgabe der BayernLB - Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

München (DK) Würde die Berliner Ägyptische Sammlung ihre Nofretete einem reichen Scheich verkaufen, gäbe es einen Aufschrei der Empörung. Zwar gehört die Dame ja eigentlich nach Ägypten, aber sie gilt eben hierzulande als nationales Gut, ist nach ihrem Fund durch den deutschen Ägyptologen Ludwig Borchardt schon über hundert lange Jahre in hiesigen Museen zu besichtigen und hat das Kunstverständnis von Generationen geprägt.

Was Museen und öffentlichen Sammlungen gehört, ist sozusagen nationales Eigentum und daher geschützt.

Aber wer unverhofft ein wertvolles Gemälde auf Opas Dachboden findet, der könnte es theoretisch kurzerhand im Ausland zu Geld machen. Dem Einhalt zu gebieten obliegt dem Kulturgutschutzgesetz, welches (siehe Kasten) derzeit einer Reform unterworfen wird. Schon der kürzlich vorgestellte erste Entwurf der Neuregelung brachte die Gemüter in Wallung. Georg Baselitz und Gerhard Richter haben bereits im Vorfeld ihre Werke, die als Dauerleihgaben in Museen waren, zurückgeholt, um sie, so Richter, lieber zu „verkloppen“ als ihrer verlustig zu gehen.

Dabei hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters nicht unrecht, einmal bei den diversen Gesetzen, die hierfür greifen, ordentlich aufzuräumen und sich lange vernachlässigten Problemen anzunehmen: Das illegale Einführen von antiken Gegenständen nach Deutschland wird schwieriger, wenn der neue Eigentümer zukünftig eine Exportgenehmigung des Herkunftlandes vorlegen muss und auch die Rückgabe von im Holocaust zwangsweise enteignetem Besitz wird nun zum Vorteil von in Ausland lebenden Erben geregelt.

Aber Sammler können jetzt nicht mehr spontan Kunstwerke bei den zentralen Auktionen in Maastricht, London oder Paris anbieten. Sie müssen zuvor eine Genehmigung beantragen, die zwar – so verspricht Grütters – binnen zehn Tagen zu bekommen sein sollte, aber doch bürokratischen Aufwand nach sich zieht. Schengen und der Euro haben auch hier einem Wirtschaftszweig zu einer Freizügigkeit verholfen, die dem Markt angemessen ist: Kunstsammler und Handel sind längst über Landesgrenzen hinaus vernetzt. Entsprechend groß war der Aufschrei nach Bekanntwerden des Gesetzesentwurfs, denn niemand lässt sich gerne seine Arbeit erschweren. Von Zwangsenteignungen konnte man lesen, Münzsammler diskutieren erregt in Foren und Fossiliensammler sind irritiert.

Gerhard Charles Rump (68), Kunsthistoriker und Pressesprecher der soeben beendeten Kunstmesse München, spitzt das Thema für sein Klientel auf eine existenzielle Dimension zu: „Das Gesetz hat das unausgesprochene Ziel, den Kunsthandel quasi abzuschaffen.“ Doch betroffen ist auch seiner Meinung nach nur eine Minderheit – deutschlandweit bewegen sich nur geschätzte 50 bis 100 Händler in dem fraglichen Preissegment. Dort ist dann auch die Gewinnspanne etwas geringer und liegt nicht bei runden 50 Prozent des Verkaufspreises, die beispielsweise Galerien von ihren Verkäufen einbehalten, sondern eher bei 10 bis 15 Prozent.

Das Ministerium sieht die Problematik weniger dramatisch, schließlich stünde es ja jedem Sammler frei, festzustellen lassen, ob das teure Stück wirklich betroffen sei. Wobei natürlich der Begriff der „nationalen Bedeutung“ schon von einer gewissen Schwammigkeit angekränkelt ist. Was fand beispielsweise nicht alles die verblichene DDR, was das Dritte Reich für bedeutsam! Ein bunt zusammengesetzter Sachverständigenausschuss soll hierfür heute ausschlaggebend sein, der Museumsleiter und Sammler an einen Tisch bringt.

Die Kunstbeamten aber hoffen zukünftig zu verhindern, dass die Schätze über ein anderes europäisches Land ungeprüft beispielsweise nach Amerika verkauft werden, wofür schon jetzt stärkere Schutzbestimmungen wirksam sind, aber umgangen werden. Die Landesgrenzen sind für Kunst nämlich ohnehin nur in Deutschland, Belgien und in den Niederlande relativ durchlässig, alle anderen EU Länder haben längst den Daumen auf dem Kunsthandel.

Die alte Kulturnation Italien spart sich die Klassifizierung des nationalen Kulturguts und setzt auf eine 50-Jahresgrenze und einen Wert von mehr als 150 000 Euro. Die Italiener halten sich damit an eine EU-Verordnung von 1992.

Lebende Künstler wie Baselitz haben von dem neuen deutschen Gesetz übrigens sowieso nichts zu befürchten – sie könnten zwar aktiv dafür Sorge tragen, ihre Werke als national wertvoll schützen zu lassen, ohne Zustimmung dürfen sie aber auf der entsprechenden Liste zu Lebzeiten nicht verzeichnet werden. Die Händler älterer Kunst aber sind in Sorge, müssen sie ja zukünftig mit der Provenienz auch ihre Preispolitik offenlegen, wenn sie sich um Genehmigungen für ihre Ware bemühen.

Rump schüttelt den Kopf über dieses Szenario: „Wenn beispielsweise Gemälde von Max Liebermann oder Christian Schad nicht mehr ausgeführt werden dürfen, dann sinkt der Wert ins Bodenlose. Nicht jedes Ding das teuer ist, ist schließlich deutsches Kulturgut. Ein anständiges Gesetz würde klar definierte Kriterien enthalten und nicht auf eine dämliche 300 000-Euro-Grenze rekurrieren.“ Die langsame Genese des umstrittenen Gesetzestextes geht inzwischen weiter ihren Weg – am 18. Dezember soll im Bundesrat darüber beraten werden.