München
In der Ehehölle

Saisonauftakt am Bayerischen Staatsschauspiel: Martin Kušej inszeniert "Wer hat Angst vor Virginia Woolf"

19.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:13 Uhr

Trunkener Wahn auf nüchterner Bühne: Bibiana Beglau und Norman Hacker spielen Martha und George in Edward Albees Beziehungskatastrophe „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, mit der Martin Kušej die Spielzeit im Residenztheater eröffnete - Foto: Pohlmann

München (DK) Mit Batterien leerer Flaschen und Unmengen zerbrochener Gläser ist die Vorbühne des Residenztheaters übersät. Scherben, wohin man blickt. Und es werden im Verlaufe der nächsten zwei Stunden noch erheblich mehr zerdeppert und auf den Abfallhaufen geworfen: Relikte der in Alkoholexzessen ersäuften Ehehölle von Martha und George.

Universitätsprofessor für Geschichte ist er eigentlich, aber im Berufsleben wie im Privaten nicht so erfolgreich wie gewünscht, weshalb er in all den Jahren nicht nur zum Zyniker geworden ist, sondern auch zum Whisky-Schluckspecht. Und Martha hat der eheliche Frust zum Luder gemacht – wenn sie es nicht vorher schon war. Lasziv erotisch, zickig, ordinär und sexgeil ist sie, dazu so eiskalt wie ihr Lieblingsgetränk: Gin on Ice. Nur der Alkohol ist letztlich der Kitt dieser Beziehung on the rocks.

Liz Taylor und Richard Burton haben Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ in der Filmversion zum ehelichen Horror stilisiert, und Martin Kušej, Intendant des Residenztheaters, hat zum Münchner Schauspielauftakt diesen Schocker von 1962 nun als sadomasochistische Seelenfolter inszeniert. Kein Bühnenbild, nur ein schmaler Laufsteg über den stets neu „gefütterten“ Scherbenhaufen. Dahinter eine leere weiße Wand, die in gleißendes Licht getaucht ist. Ein aseptisches Labor, in dem die Psychokrüppel all ihre maroden Gefühlsregungen samt den zerborstenen Illusionen und Lebenslügen ausbreiten können und auskotzen dürfen. Und das nicht zu wenig.

Als Kontrast zu Martha und George hat Edward Albee noch das Aufsteigerpärchen Honey und Nick eingebaut: Er ein ebenso schnöseliger wie arrogant-verklemmter Biologieprofessor (Johannes Zirner) und sie ein brav-naives Mäuschen (Nora Buzalka). Doch restlos kaputt sind auch sie.

Phänomenal ist diese Neuinszenierung im Münchner Residenztheater freilich aufgrund der hinreißenden schauspielerischen Leistungen von Norman Hacker als George und vor allem von Bibiana Beglau als Martha. Wie eine Schlange sucht diese Frau, im Hintergrund lauernd, ihre Opfer, um sich dann mit ihren ehelichen und außerehelichen Eroberungen den Sauf- und Sexgelüsten voll hinzugeben. Eine herrlich exzentrische Hysterikerin ist diese Martha, die übergangslos die Zärtliche und die Berserkerhafte mimt, die wie ein Kätzchen schnurrt und wie ein waidwunder Tiger kämpft, die bis zum Exzess säuft und raucht und ebenso ein scheues Sensibelchen abgibt wie eine exhibitionistische Furie. Eine grandiose Darstellung der von der renommierten Fachzeitschrift „Theater heute“ zur „Schauspielerin des Jahres“ gekürten Bibiana Beglau. Starker Tobak ist diese Aufführung auf jeden Fall. Aber dank dieser Martha ist’s ein faszinierendes Theatererlebnis. Das Premierenpublikum jubelte.

Weitere Vorstellungen im Residenztheater heute, Samstag, sowie am 7., 11., 17. und 23. Oktober. Kartentelefon (0 89) 21 85 19 40.