München
Für eine Rose und die Leidenschaft

06.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:33 Uhr

Die Zuhörer im Gasteig stehen Schlange, um einen französischen Unternehmensberater Klavier spielen zu hören.

München (DK) D-E-R-V-I-L-A schreibt Deirbhile Brennan auf einen Zettel: Damit der Leiter des Klavierfestivals ihren gälischen Vornamen bei der Ansage richtig ausspricht. Die Irin hat um 19 Uhr ihren Auftritt. Sie ist ziemlich nervös. Gerade hat sie sich mit dem Steinway-Flügel im Kleinen Konzertsaal des Gasteig vertraut gemacht. Jetzt noch eine kleine Pause, etwas zu essen wäre gut.

Sie bekommt einen Gutschein fürs Café in dem Münchener Konzerthaus - eine der wenigen Anerkennungen dafür, dass sie am Abend Schubert und Liszt für rund 200 Zuhörer spielen wird. Ein Honorar gibt es nicht für die Künstler in der Konzertreihe "Mein Pianoforte - Pianomarathon internationaler Meisteramateure". Die Kosten für den Flug nach München trägt die Irin selbst. Genau wie Sean Sutherland aus den USA, der gerade vom Flughafen kommt und jetzt als Nächstes in den Konzertsaal zum Einspielen verschwindet. Morgen schon fliegt er zurück nach New York. Diesen Aufwand findet er angemessen. "Ich wollte die Gelegenheit nicht verpassen, in München aufzutreten", sagt er.

Unter den anderen Künstlern des Festivals sind ein französischer Unternehmensberater, zwei Software-Ingenieure aus den USA und ein deutscher Neurologe. Sie alle sind keine professionellen Musiker. Und doch spielen sie in weltberühmten Konzertsälen.

Die Irin Deirbhile Brennan ist schon in der New Yorker Carnegie Hall aufgetreten - dem vielleicht legendärsten Konzerthaus der Welt. "Ab da wurde es richtig aufregend", sagt sie. Brennan hat eine 60-Prozent-Stelle als Steuerprüferin. Ihre vier Kinder sind, 9, 12, 15 und 17 Jahre alt. Als Teenager träumte sie von einer Karriere als Konzertpianistin. Ihre Eltern fanden das lächerlich. Jetzt lebt sie diesen Traum - hobbymäßig. "Normalerweise sagen die Leute: Damit warte ich, bis ich älter bin." Aber Deirbhile Brennan vermisste die Musik. "Man weiß doch nie, wie viel Zeit einem noch bleibt." Einmal im Jahr fährt sie auf einen Wettbewerb, um sich mit den weltbesten Amateurpianisten zu messen oder gibt ein Konzert. Im Münchener Gasteig trifft sie Freunde wieder - die "Meisteramateure" sind eine kleine elitäre Gruppe, man kennt sich. Sie reden über "Paris" und "Texas", als wäre es selbstverständlich, als Berufstätiger regelmäßig ein halsbrecherisches Repertoire für Musikwettbewerbe zu erarbeiten.

Brennan ist nach München gekommen, weil Eberhard Zagrosek sie eingeladen hat. "Ich habe eine Riesen-Liste und jeder möchte hier spielen", erzählt er. Der 74-Jährige bittet eine Mitarbeiterin, der irischen Pianistin rasch den Einspielraum zu zeigen. Dann beruhigt er einen ziemlich angespannten Musiker aus den USA und erklärt ihm, wie er auf deutsch eine Zugabe ansagt. Zagrosek, der künstlerische Leiter der Konzertreihe, hat schon zum fünften Mal internationale Amateurpianisten nach München geholt. Der Physiker in Rente lernt die Musiker kennen, wenn er selbst als Pianist auftritt, in Saltlake City, Schanghai oder Boston. Die meisten wollten einmal vom Klavierspielen leben. "An den Musikhochschulen werden viel mehr Musiker ausgebildet, als der Markt vertragen kann", erklärt Zagrosek.

Langsam wird es ernst, die ersten Zuschauer trudeln ein. Viele Rentner sind da, Gasteig-Stammpublikum, aber auch Neugierige. Die Studenten kommen, weil sie gerne mal klassische Musik hören wollen - und hier ist der Eintritt frei.

Patricia Strauß drückt den Gästen die kostenlosen Karten in die Hand. "Immer erst eine Stunde vorher", erklärt sie den Leuten, die am liebsten gleich Tickets für alle Künstler des Abends mitnehmen wollen. Sie sagt diesen Satz sehr oft. Die Veranstalterin darf pro Konzert nur knapp 200 Leute in den Saal lassen. Manche muss sie wieder wegschicken. Im Foyer bildet sich eine lange Schlange. Der freie Eintritt lockt ein anderes Publikum in den Gasteig, es geht legerer zu als sonst. Strauß mag es, dass die Musiker sehr angenehm sind. Sie freuen sich über die großen Proberäume und geben alles. "Sie sind wahnsinnig verbissen."

Deirbhile Brennan ist zurück. In einem fließenden nachtblauen Kleid sitzt sie im Einspielraum. Ihr Blick ist etwas panisch, als sie ihr Repertoire noch einmal durchspielt. "Wenn man Konzertpianist ist, tritt man dauernd auf. Wenn man das nur manchmal macht, ist es eine viel größere Sache."

Doch dann läuft alles gut. Das Publikum liebt ihre Janacek-Sonate und ihren Mephisto-Walzer. Als Dankeschön bekommt Brennan nur eine Rose, ein kleines Werbegeschenk vom Gasteig und einen Mitschnitt ihres Konzerts. Doch als sie gelöst lächelt und sich unter Applaus verbeugt, kann man erahnen, was die Irin antreibt.

Draußen vor dem Saal gratulieren ihr zwei Pianistenkollegen. "Deirbhile spielt superb", sagt ein US-amerikanischer Software-Ingenieur. "Wir alle lieben uns gegenseitig dafür, dass wir uns selbst so antreiben." Jorge Zamora, der aus Mexiko angereist ist, opfert sämtliche Urlaubstage für sein Hobby. "Von meiner Arbeit wird mein Körper satt", sagt er - er ist Verkaufsleiter in einem Telekommunikationsunternehmen. "Aber meine Seele wird satt von der Musik." Zamora hat am Sonntag seinen Auftritt. "Mein Sohn wird mal erzählen: Wow, mein Papa hat in München gespielt." Plötzlich hat er Tränen in den Augen. Er lächelt zittrig und wischt sie weg. "Wir alle waren mal sehr nah dran an einer professionellen Musikerkarriere", erklärt er. "Das hier ist wie eine Generalprobe davon, wie es hätte sein können." Dann verschwindet er im Konzertsaal, um den Erziehungswissenschaftler aus den USA zu hören.