München
Familiensaga voller Melancholie

Bierbichlers "Mittelreich" in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt

26.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr

Sensibel inszeniert: Szene mit Thomas Hauser (links) und Steven Scharf - Foto: Buss

München (DK) Aufgereiht sitzen sie Stuhl an Stuhl in einem tristen Wirtshaussaal (Bühnenbild: Duri Bischoff), vier Männer und eine Frau in Trauerschwarz. Nur der Jüngste unter ihnen trägt bewusst provokativ einen blauen Pullover.

Warum? Das wird bald klar: Denn dessen Vater, der alte Pankraz, Wirt und „mittelreicher“ Bauer in einem oberbayerischen Dorf, ist gestorben. Jetzt ist sein Sohn Semi an der Reihe, das Familienerbe zu übernehmen. Seine Zukunft hat sich Semi jedoch anders vorgestellt. Doch auch Pankraz wollte eigentlich einen anderen Beruf ergreifen, Sänger wollte er werden, musste freilich die Familientradition als Wirt und Bauer weiterführen. Und so hat er sich wenigstens zu seiner Beerdigung „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms gewünscht, das nach den Lobeshymnen von Pfarrer, Bürgermeister und den Vorsitzenden all der Vereine, in denen der Seewirt Mitglied war, auch erklingt.

Und die Regisseurin Anna-Sophie Mahler setzt in ihrer Inszenierung diese Eingangsszene faszinierend um: Während die Trauergemeinde mit dünnen Stimmchen den Anfangstext von Brahms’ Totenmesse intonieren, übernimmt der auf den Rängen platzierte Chor des Jungen Münchner Vokalensembles in einem gewaltigen Crescendo die Begleitung dieser Trauerfeier. Ein Regieeinfall, der ebenso berührt wie die folgenden Szenen voll Elegie und Melancholie unter die Haut gehen.

In Rückblenden berichtet der alte Seewirt von seinem größtenteils verpfuschten Leben, von seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg, von Not, Armut und persönlichen Schicksalsschlägen. Und sein Sohn Semi erweitert diese Familiensaga mit grundsätzlichen Überlegungen über die Vergänglichkeit des Seins und die Brüchigkeit sozialer Beziehungen anhand Josef Bierbichlers autobiografisch reichlich angehauchtem Roman „Mittelreich“ vom Jahre 2013, der nun in der Theaterfassung der Regisseurin seine Uraufführung in den Münchner Kammerspielen erlebte. Mit dem Hintergrund der Chronik seiner Wirtsfamilie „Zum Fischmeister“ in Ambach am Starnberger See hat Bierbichler ein wuchtiges Panorama der „Geschichte von unten“ im Spiegel von drei Generationen verfasst. Und mit großer Sensibilität hat Anna-Sophie Mahler als Regisseurin diesen Familien-, Dorf- und Zeitroman in beruhigend-unaufgeregte und deshalb umso mehr betroffen machende Bilder umgesetzt.

Schade nur, dass die Schauspieler, vor allem Steven Scharf in der Rolle des Erzählers und Stefan Merki als Seewirt Pankraz, teilweise so leise sprechen.

Das Premierenpublikum jubelte. Eine Aufführung, die nach all den Video-Schlachten und Trash-Trivialitäten unter der neuen Intendanz von Matthias Lilienthal dem Anspruch der Münchner Kammerspiele wieder voll und ganz gerecht wird.

Aufführungen: 27. November sowie am 5., 6., 13. und 26. Dezember. Kartentelefon: (0 89) 23 39 66 00.