Ingolstadt
Labor im Sandkasten

06.12.2009 | Stand 03.12.2020, 4:26 Uhr

Eine Gesellschaft von Verzweifelten und Verstrickten: Marcus Staab Poncet (links) als Elisio und Ralf Lichtenberg als Fadoul. - Foto: Olma

Ingolstadt (DK) Glückliche Fügung der Spielplangestaltung: Noch ehe die Leitung des Theaters Ingolstadt ahnen konnte, dass Dea Loher, die erfolgreichste, meist gespielte deutsche Dramatikerin der jüngeren Generation mit dem Marieluise-Fleißer-Preis 2009 der Stadt Ingolstadt geehrt werden würde, war die Inszenierung des Stücks "Unschuld" terminiert.

Der 2003 am Thalia-Theater Hamburg von Andreas Kriegenburg uraufgeführte Text handelt von Randfiguren der Gesellschaft in einer europäischen Hafenstadt: zwei illegale Immigranten; eine blinde junge Frau, die in einer Hafenbar als Stripperin arbeitet; eine Alleinstehende, die um Vergebung bittet für Taten, die sie nicht begangen hat; eine alternde Philosophin, die ihre Bücher verbrannt hat; der Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens, der die Erfüllung seines Lebens in der Fürsorge für Leichname findet zu Lasten seiner Frau samt der Schwiegermutter, die Zucker heißt und an Diabetes leidet.

Ein Reigen melancholischer, kleiner Geschichten von kleinen Menschen, mit allem, was Leben ausmacht: Angst und Zuversicht, Trauer und Hoffnung, Güte und Bosheit, Versagen, Schuld, Hass, Obsessionen, Tod. Ins Surreale gehoben, manchmal tragikomisch, die Sprache poesievoll, in der lakonischen Manier an die Fleißer erinnernd.

Die Wahl des Großen Haus des Theaters Ingolstadt als Aufführungsort erscheint problematisch angesichts des so stringent auf das Wort angelegten Stücks, zumal Regisseur Maik Priebe auch noch auf die spärlichen bildhaften Elemente in den Regieanweisungen der Autorin verzichtet, die Chorpartien solistisch besetzt und die Verrätselung weitertreibt, etwa durch das Streichen der stummen Rolle des Goldschmieds, was dem Verständnis der Monologe seiner Ehefrau, der Philosophin, nicht eben dienlich ist.

Das anspruchsvolle Konzept mit allen Konsequenzen wird sichtbar im Bühnenbild von Annette Meyer, das auf einen großen, flachen Sandkasten reduziert ist. Den betreten die Schauspielerinnen und Schauspieler, wenn sie an der Reihe sind, nehmen dann die Stühle mit, auf denen sie vorher stumm gesessen sind am linken und rechten Bühnenrand, wohin sie sich auch wieder zurückziehen. Es sei denn, dass sie in Tableaus versammelt sind, anfangs und am Ende. Beleuchtet wird die Szene von kaltem Neonlicht. Eine Laborsituation also.

Das Ensemble zählt 14 Personen. Es ragen hervor Sabine Wackernagel, Toni Schatz, Julia Maronde, Ralf Lichtenberg, Victoria Voss und Marcus Staab Poncet. Bemerkenswert auch ist Adelheid Bräus Solo in einer Studie rasanter Rollenwechsel.

Keine einfache Kost, diese dreistündige Aufführung. Hohes Niveau, gedankliche Tiefe – eine Herausforderung für das Publikum, das bei der Premiere allerdings mit langem, freundlichem Beifall reagierte, eine Hommage auch an die neue Fleißer-Preisträgerin.

Die nächsten Vorstellungen finden am 14. Dezember sowie am 7., 13., 16. und 17. Januar 2010 statt.