Ingolstadt
Kämpferin auf verlorenem Posten

02.10.2013 | Stand 25.11.2013, 9:44 Uhr

Bewährtes Team: Regisseur Johannes Kresnik (links) und sein Autor Christoph Klimke sprechen über ihr Stück unter einer Fotografie der Schriftstellerin Marieluise Fleißer - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Am Anfang stand die gemeinsame Leidenschaft für Pasolini: Johann Kresnik hatte ein Stück über den homosexuellen italienischen Filmregisseur, Dichter und Publizisten gemacht, der unter mysteriösen Umständen ermordet wurde.

Christoph Klimke hatte Bücher über ihn geschrieben. Als ausgewiesener Kenner der Materie wurde Klimke deshalb beauftragt, eine Zeitungskritik über die Kresnik-Inszenierung zu schreiben. Der Artikel muss auf Wohlwollen gestoßen sein. Denn kurze Zeit später erhielt Klimke einen Anruf von Kresnik, in dem er ihn bat, für ein choreografisches Theater an der Berliner Volksbühne ein Libretto zu Pasolinis Film „Teorema“ zu schreiben. Das war der Beginn einer Zusammenarbeit, die sich zunächst nur auf Tanztheater beschränkte, sich später aber auch auf Oper und Schauspiel erstreckte. Für das Stadttheater Ingolstadt erarbeiten beide nun ein Stück über Marieluise Fleißer. Diesmal kam die Idee von Christoph Klimke, den die Theaterstücke der Ingolstädter Dramatikerin schon früh faszinierten. „Ich komme selbst aus Kleve, einer kleinen Stadt am Niederrhein, erzkatholisch und politisch schwarz. Die Roelles und Olgas kenne ich auch aus meiner Kindheit.“ Klimke las Fleißers Biografie – „und fand es ungeheuerlich, dass sie hier 30 Jahre saß und Tabak verkauft hat“. Er schlug den Stoff Kresnik vor – schließlich hatte der schon viele Frauenbiografien von Sylvia Plath über Ulrike Meinhof und Rosa Luxemburg bis zu Frida Kahlo und Hannelore Kohl inszeniert. Und der war begeistert. „Das ist eine Frau, die genau in meine Arbeit passt“, meint Johann Kresnik. „Sie war bedeutend, wurde aber lange nicht anerkannt.“

„Lebenmüssen ist eine einzige Blamage“ heißt das Stück – nach einem Zitat der Fleißer über Buster Keaton –, das am Samstag, 5. Oktober, im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt seine Uraufführung erlebt. Es geht um das Leben und Werk Marieluise Fleißers und versucht, sie nicht als Opfer ihrer Zeit und der Gesellschaft zu zeigen, sondern als „Kämpferin“, erläutert Klimke. Denn: „Sie war auch eine starke Frau. Sie hat sich die Männer gegriffen und ihre Vorteile gesucht. Sie wusste genau, wie sie sich anzog und auftrat – das war schon sehr inszeniert. Es gab in ihrer Zeit ja gar keine Dramatikerinnen – das war für Deutschland ungeheuerlich und für die bayerische Provinz erst recht. Dass sie dann die Kurve nicht gekriegt hat und wieder zurück musste zu ihrem Tabakhändler, das ist die Tragödie ihres Lebens.“

Eine „starke Theater-Fantasie“ wollen Klimke und Kresnik in Ingolstadt auf die Bühne bringen. Denn: „Es gibt Biografien über die Fleißer, es gibt einen guten Dokumentarfilm über sie – dafür muss man nicht ins Theater gehen. Das Theater hat eine andere Aufgabe. Natürlich: Wo Fleißer draufsteht, muss auch Fleißer drin sein. Aber auch wenn alle wichtigen Fakten vorkommen, so ist das Stück doch vollkommen assoziativ“, sagt Klimke. Sein Kunstgriff: Das Stück beginnt im Jahr 1958, als die Dichterin mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wird. Hier lässt sie ihr Leben Revue passieren – und in ihrem Erinnern („das ist ja sehr subjektiv, auch trügerisch und nicht unbedingt chronologisch“) trifft sie nicht nur auf Menschen aus der Zeit, die ihr in Wirklichkeit nie begegnet sind, sondern auch Figuren ihrer Stücke. „Schließlich gibt es auch Texte von der Fleißer, wo man sagt, hier schimmert ihr eigenes Leben in ihren Figuren auf“, erklärt Klimke. Natürlich spielt Brecht eine Rolle, ebenso Feuchtwanger oder Draws-Tychsen.

Diesen Anfang zu finden, war für Klimke am wichtigsten. „Wie erzählt man eine Geschichte, ohne in platten Realismus oder Naturalismus zu verfallen? Das hasst Kresnik. Aber weil wir schon lange zusammenarbeiten, ahne ich, was ihm Freiräume für seine Fantasie gibt“, sagt Klimke.

Weil sich nicht alles über Text erzählen lässt, gibt es Live-Musik (Violine und Schlagzeug), und es wird – wie in vielen Inszenierungen Kresniks – neben den Schauspielern auch eine Tänzerin auftreten. Regisseur Kresnik beschreibt sie so: „Sie ist wie ihr Schatten, wie ihr Gewissen, wie ihr Gefühl und ihre Sehnsucht.“

 

Premiere ist am Samstag, 5. Oktober, um 19.30 Uhr im Großen Haus des Stadttheaters. Karten unter Telefon (08 41) 30 54 72 00.