Ingolstadt
Wunder des Ausdrucks

Konzertverein: Daniel Behle singt Schuberts "Schöne Müllerin"

24.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:23 Uhr

Großer Tragödienerzähler: Daniel Behle bei seinem ergreifenden Liederabend - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Es ist bereits die Mitte des Liederzyklus’ „Die schöne Müllerin“ erreicht, als Daniel Behle auf der Bühne des Ingolstädter Festsaals eine verräterische Bewegung unterläuft: Er wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Die düsteren Schubert-Lieder, dieser unaufhaltsame Abstieg in die Abgründe des Liebeswahns, können niemanden unbewegt lassen.

Auch wenn Behle jeder Gefahr der Sentimentalität ausweicht und niemals wirklich „gefühlig“ singt. Vielmehr suggeriert der Tenor Unmittelbarkeit, tragische Gegenwärtigkeit. Das Drama der unglücklichen Liebe scheint sich auf der Bühne aktuell abzuspielen.

Es beginnt in den ersten Liedern fast harmlos. Ein volkstümlicher, kraftvoller Tonfall bestimmt das Eingangslied „Das Wandern“. Oder versteckt sich hier bereits Bedrohungspotenzial? Warum immer wieder diese echohaft nachdenklichen, alles in Frage stellenden Wiederholungen? Warum dieses ausufernde Ritardando, wenn die durch das Mühlrad polternden Steine den Wanderer aufzuhalten und in die Tiefe zu ziehen scheinen?

Aber es kommt bald noch schlimmer. Der robuste Ton schwindet, der zunächst so unbeirrt munter fließende Bach, den der exzellente Pianist Sveinung Bjelland so sensibel und unfassbar vielfältig charakterisiert, ist mal stürmisch wie Meereswogen, dann abgründig verebbend. Behle verleiht selbst dem Moment heißer Liebesglut in den Liedern „Ungeduld“ und „Am Feierabend“ eine irritierende Note. Der Überschwang ist zu groß, geht bereits in Raserei, Hysterie über, da schwingt das Unglück bereits im Jauchzen mit.

Gerade hier aber gelingen dem Sänger die ergreifendsten Augenblicke. Fast triumphierend tönt er durch den Festsaal mit trompetenartiger Stimmgewalt, atemberaubend in der halsbrecherischen Hitzigkeit der eifersüchtigen Wut, wenn der konkurrierende Jäger auftaucht etwa – um einen Augenblick später in tiefste Resignation zu verfallen und fahles Pianissimo zu intonieren. Am deutlichsten geschieht das in dem Lied „Die liebe Farbe“, das Behle so erschütternd leise, so morbide, mit so ausgedünntem, grabeskaltem hohen Ton singt. Mit dieser stockenden, von der Liebe zutiefst enttäuschten Melodie ist bereits die herbeigesehnte Erlösung im Freitod wohl unabwendbar. Die restlichen Lieder sind wie ein Requiem, wie der Abgesang eines Todessehnsüchtigen. Bis ganz am Ende erschütternd nüchtern, mit nur ganz wenigen Nuancen Behle das Schlaflied des Bachs singt, dieses Wiegenlied in den Tod für den Wanderer. Da ist nichts zu spüren von biedermeierlicher Gemütlichkeit, das klingt merkwürdig fremd und modern.

Behle singt mit einem fast schon zu reinen Tenor, einer Stimme, die mühelos und immer flexibel zu allem fähig ist. Das ist wunderbar und zugleich gefährlich, weil es zu immerwährender Oberflächenschönheit verführt. Aber Behle entgeht diesen Fallstricken, er zwingt seine Stimme in ex-tremste Regionen, zu gewaltiger Lautstärke, fast versiegendem Melodienfluss, traumverlorenem Pianissimo, ergreifenden Schmerzenslauten – und doch bleibt jeder Ton vollkommen. Das ist große Kunst eines perfekten Gesangstechnikers und zugleich eines gewaltigen Tragödienerzählers. Ein Wunder des Ausdrucks. Kunstvolle Natürlichkeit.