Ingolstadt
So seltsam durch die Nacht

"Sleepless" auf dem Parkdeck des Ingolstädter Nordbahnhofs: Viel Beifall für Tobias Hofmann und das furiose Ensemble des Stadttheaters

07.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:49 Uhr

Gemütliche Sofalandschaft für die Gestrandeten der Nacht: Über den Dächern von Ingolstadt präsentierten Tobi Hofmann, die Theaterband und Schauspieler verwegene, verliebte, verzweifelte Lieder. Beide Vorstellungen von "Sleepless" waren ausverkauft. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Schäfchenzählen kann gefährlich sein. Zumindest, wenn Renate Knollmann das tut - in "Dilemma". Was zunächst noch nach unruhigem Hin- und Herwälzen als vielversprechende Einschlafhilfe beginnt ("Mein Therapeut sagt, ich soll mich nicht quälen, sondern ab sofort - Schäfchen zählen."), wird bald zur Besessenheit. Denn die Herbeigezählten drängeln sich tatsächlich ins Schlafzimmer: "Und bäh, watt die stinken, himmelnee, watt die stinken: Wie soll man da schlafen. Und guck mal, wie die gucken, diese ollen Heidschnucken. Ich bin allein unter Schafen." Dann setzt sich die geplagte Schlaflose zur Wehr - und das ziemlich drastisch: "Ich mach Moussaka-Massaker, ich mach sie alle kalt." Auch so kann es klingen, wenn das Stadttheater Ingolstadt bereits im fünften Jahr zum kultigen "Sleepless"-Termin aufs Parkhausdeck des Nordbahnhofs bittet.

Dann trifft man sie - die Nachtschwärmer, Mondanbeter und Sterndeuter, die Verliebten, Verlorenen und Verzweifelten. All die Nimmermüden, die durch die Nacht streunen auf der Suche nach Gesellschaft - oder Erlösung.

Am Donnerstagabend spielt auch das Wetter mit: In der lauen, sternendurchfunkelten Sommernacht hoch oben über Ingolstadt wirken die Lieder, die Tobi Hofmann, der kreative Kopf der musikalischen Sause, mit wunderbaren Schauspielern und fulminanter Band ersonnen hat, ungleich verführerischer als im Backstage-Bereich des Großen Hauses. Hofmann, diesmal mit Gundula-Gause-Perücke und unwiderstehlichem niederländischen Akzent, begrüßt zu einem "sagenhaften Abend" und lädt ein in seine kuriose WG mit ihren unberechenbaren Bewohnern. "Was so passiert, weiß man gar nicht. Das kann auch irre lang dauern. Nehmen Sie sich für morgen und übermorgen nichts vor."

Es dauert gute zwei Stunden. Mit zwei Dutzend Liedern und fünf Zugaben aus Pop, Rock, Soul, Volkslied und Chanson. Vom Marika-Rökk-Evergreen "In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine" (Paula Gendrisch) zu "Neuanfang" von Clueso (Felix Steinhardt und Sarah Horak), von dem Charles-Aznavour-Hit "Du lässt dich geh'n" (Jan Gebauer) zu Cäthes "Ich muss gar nichts" (Michael Amelung und Sarah Horak), von "Summer Wine" (Mira Fajfer und Matthias Zajgier) bis zu "Planeten" (Benjamin Kneser als Rainald Grebe), von "Unterm Säufermond" von Udo Lindenberg (Ralf Lichtenberg) bis "Bei mir bist du shein" (als Andrew Sisters: Manuela Brugger, Olivia Wendt, Renate Knollmann, Sarah Horak) und und und.

Dieses Mal sind mehr Party-Biester in der WG, die wie Enrico Spohn das "Night Fever" beschwören und spätestens mit "Celebration" (Kool & The Gang) viele zum Tanzen, Klatschen, Mitsingen bringen. Aber nach der Pause, wenn sich die Dunkelheit aufs Parkdeck gesenkt hat, Mücken die Scheinwerfer umschwärmen und sich alle in Pyjamas, Bademäntel, Kimonos gewandet haben, wird auch die Musik dunkler und der Herzschlag ruhiger.

Und weil es Schauspieler sind, die hier singen, sind es nicht einfach nur Lieder, die präsentiert werden, es sind Minidramen über das Sehnen und die Suche, Wünschen und Wähnen. "Wir warten auf den Taumel der Nacht / Wenn das Licht ausgeht / Und unsere trunkene Seele erwacht", heißt es in Gisbert zu Knyphausens Song "So seltsam durch die Nacht".

Was für ein Abend! Verspielt. Komisch. Ironisch. Zart. Berührend. Charmant inszeniert, instrumentiert, arrangiert. So schön kann schlaflos in Ingolstadt sein.

Die zweite Vorstellung am Sonntag ist bereits ausverkauft. Bei Regen wird ins Stadttheater ausgewichen. Wetterhotline: (08 41) 30 54 72 99.