Ingolstadt
Mit Witz, Herz und Esprit

Ingolstädter "Buch-Quartett" überzeugt bei seiner Premiere

28.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:37 Uhr

Ingolstadt (DK) Das "Buch-Quartett" sei ein Experiment, hatte Donald Berkenhoff, Chefdramaturg am Stadttheater Ingolstadt, am Montag im Kleinen Haus gesagt. Nach zwei Stunden Diskussion zu den von Veronika Peters, Friedrich Kraft, Michael Kleinherne und Donald Berkenhoff vorgestellten Büchern gab es viel Applaus für einen Abend voller Witz und Esprit.

Streitbar, informativ und persönlich offen begründeten die Unternehmerin, der Journalist, der Unidozent sowie der Chefdramaturg, warum "das Herz an einem Buch hängt", "was man diskutiert haben will".

Friedrich Kraft zeigte sich bei Amos Oz' "Judas" fasziniert davon, wie der 1939 in Jerusalem geborene Schriftsteller und Mitbegründer der politischen Bewegung "Peace Now" religionsgeschichtliche Grundfragen mit anderen Verrätergeschichten verknüpft. Kraft lobte die deutsche Übersetzung (Mirjam Pressler), die Oz' orientalische Erzählkunst so gut vermittele.

"Judas" erzählt vom 25-jährigen Schmuel Asch, der in den Jahren 1959/1960 an einer Arbeit über das Verhältnis der Juden zu Judas Ischariot arbeitet. Asch bricht sein Studium ab, um sich nach dem Tod seines Vaters als Gesellschafter des 70-jährigen Gerschom Wald den Lebensunterhalt zu verdienen. Zudem hat ihn seine Verlobte verlassen. Im Haus des 70-Jährigen verliebt sich Asch in die 45 Jahre alte Atalja, die, verwitwet und alleinstehend, immer wieder Verhältnisse mit den Gesellschaftern ihres Schwiegervaters eingeht. Mit Gerschom Wald und Atalja erzählt Amos Oz auch von der Gründungsphase des Staates Israel, lässt Ataljas Vater warnen, dass "Nationalstaaten in die Katastrophe führen". Kraft: "Hochaktuell!"

Seine Mitstreiter wollten ihm in seinem Lob nicht ganz folgen. Kleinherne beklagte die Erzählweise als teils langatmig, Berkenhoff fand das "Setting unglaublich spannend", die Ausführung "etwas ausgereizt". Peters waren die Passagen zur biblischen Geschichte zu lang - "kenne ich aus dem Religionsunterricht", hob dafür die Schönheit der Liebesszenen hervor und fühlte sich angeregt, über die Anfänge des Staates Israel zu forschen.

Gut nachvollziehbar waren die Argumente auch bei den anderen Titeln - Peter Stamm "Weit über das Land" (Berkenhoff), Jenny Erpenbeck "Gehen, ging, gegangen" (Peters) und Thomas Glavinic "Der Jonas-Komplex" (Kleinherne). Nach den Lesungen durch Schauspielerin Ingrid Cannonier und ihre Kollegen Matthias Zajgier und Béla Milan Uhrlau unterlegten die Buchpaten ihre Standpunkte (Peters: "Ich darf als Leser etwas herauslesen!") mit Zitaten. Vor allem waren die Einwürfe unterhaltsam und aufschlussreich. Kraft: "Ach, man hält zu Thomas, der Frau und Kinder verlässt!" (über Stamms "Weit über das Land"). Berkenhoff über dessen Spiel mit Möglichkeiten: "Ich liebe Bücher, die mir nicht alles beschreiben." Peters: "Das Thema ist es wert, in einem Buch zu stehen" zu dem Vorwurf, Erpenbecks "Gehen, ging, gegangen" zeige "das Elend der politischen Literatur, die die Geschichte für die Idee verrecken lässt" (Berkenhoff). Am heftigsten gestritten wurde - trotz Stärken und berührender Momente - über "Der Jonas-Komplex": "Der Narzissmus nutzt sich ab" (Kleinherne). "Er schreibt sich an die Grenze der Peinlichkeit" (Berkenhoff). "Zu arrogant" (Peters). "Ich rate von der Lektüre ab" (Kraft). Gut beraten ist aber Berkenhoff, das "Buch-Quartett" weiterzuführen.