Ingolstadt
Ein Glücksfall

Chris O'Leary in der Ingolstädter Neuen Welt

22.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:38 Uhr

Explosive Phasen: Chris O'Leary reißt das Publikum in der Neuen Welt mit. - Foto: Leitner

Ingolstadt (DK) Welch ein Abend, welch phänomenale Band, welch mitreißende Musik! Bandchef Chris O'Leary singt sich die Kehle und bläst via Bluesharp sich die Lunge aus dem Leib, die messerscharf agierende Bläserabteilung mit Andy Stahl am Tenor- und Chris DiFrancesco am Baritonsaxofon sorgen für enormen Druck, Matt Raymond am Bass und Jason Devlin an den Drums sind die allen Stürmen trotzenden Felsen in der Brandung, und Peter Kanaras an der Gitarre (früher in Diensten von Hubert Sumlin und den Nighthawks) spielt einige Licks, die wahrlich sensationell sind.

Die Chris O'Leary Band aus New York in der neuen Welt ist wahrlich ein Glücksfall, eine Formation zum Niederknien, die Festivalleiter Walter Haber da verpflichtet hat, eine Riesenüberraschung wohl auch für erfahrene Bluesfest-Gänger. Rhythm'n'Blues, Blues und Memphis Soul - das sind die Ingredienzien, aus denen Mr. O'Leary ein derart heißes Gebräu kocht, das man gar nicht anders kann, als begeistert zu sein. Das Repertoire stammt aus bislang vier Alben, wobei Songs wie "Harvest Time", "Waiting For The Phone To Ring" und "The Grass Is Always Greener" gleich zu Beginn O'Leary's Potenzial auch als herausragendem Komponisten beweisen. Dazwischengestreut gibt's ein paar Nummern von Professor Longhair, Billy Boy Arnold und eine geniale Fassung von Sam & Dave's "Hold On I'm Coming" kurz vor der Pause.

Mit dem überragenden "19 Cent A Day" gibt O'Leary, stilistisch angelehnt an Lee Oskar und "War", eine höchst aktuelle politische Stellungnahme ab, während "Christine" einfach nur, wie er selber sagt, "low and dirty blues" ist. - Mag sein, aber eben ein überragend gespielter, und darauf kommt es an. Als Mundharmonikavirtuose deutlich hörbar in der Tradition eines Rice Miller alias Sonny Boy Williamson stehend, zieht O €˜Leary sämtliche Register, lässt sich weit zurückfallen, zieht kurz darauf mächtig an, treibt die Band an zu Höchstleistungen und liefert ein Paradebeispiel für ein hochdynamisches Konzert, in dessen Verlauf sich intime wie auch geradezu explosive Phasen in rascher Folge abwechseln.

O'Leary ist eine wahre Bühnenpersönlichkeit, die seine Mitmusiker mit lockerer Hand dirigiert und souverän mit dem Publikum umgeht. Von Routine keine Spur. O €˜Leary ist selber heiß auf diesen Abend, beißt sich so richtig hinein in diesen Auftritt. Als Augen- und Ohrenzeuge hat man stets das Gefühl: Dieser Mann gibt tatsächlich alles. Es gibt Konzerte, deren Musik einem ans Herz greift, die einen berührt, vielleicht sogar emotional packt. Was bei der Chris O'Leary Band aus den Boxen kommt, springt einen förmlich an. Wenn das Bluesfest 2016 bislang noch kein Highlight hatte, dann hat es jetzt eines.